Das Promotionsprojekt nimmt die populäre Agitation für protektionistische Zollpolitik in den USA im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in den Blick. Seit den 1880er Jahren bildete sich ein Spektrum von verschiedenen Interessensgruppen, Industrieverbänden, einzelnen Aktivisten und Industriellen heraus, das mittels populärer, d.h. an die Masse der Bevölkerung gerichteter Agitation versuchte, das bestehende protektionistische System hoher Importzölle gegen freihändlerische Kritik und moderat-protektionistische Reformversuche zu verteidigen. Zu diesem Zweck wurden öffentlichkeitswirksame politische Kampagnen durchgeführt, Flugblätter und Pamphlete millionenfach verschickt, Redner ausgebildet und ein breites protektionistisches Pressewesen institutionalisiert. Wichtige Verbände waren etwa die American Protective Tariff League, der Boston Home Market Club oder die American Iron and Steel Association.
Fritz Kusch | The Defenders. The Popular Struggle to Uphold Protectionism in the United States, ca. 1880-1930
Posterausstellung 54. Historikertag Leipzig 2023
Das Promotionsprojekt untersucht diese bisher von der Forschung wenig beachteten populären Ausprägungen protektionistischer Agitation im Hinblick au die breitere politische Kultur des amerikanischen Protektionismus. Die Arbeit analysiert, wie populärprotektionistische Organisationen und Aktivisten versuchten, protektionistische Positionen in der öffentlichen Diskussion zu verankern, und wie es so gelang, die angesichts der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung immer drängenderen zollpolitischen Reformbemühungen zu unterbinden. Dabei geht die Arbeit von einem breiteren Protektionismusbegriff aus und versteht den amerikanischen Protektionismus dieser Epoche als eine genuin politische Denkweise, die sich nicht auf materielle und wirtschaftliche Erwägungen beschränkte, sondern diese fest mit weiteren ideologisch-politischen Dispositionen wie Nationalismus, Exzeptionalismus, Imperialismus und verschiedenen Formen der Xenophobie verband.
Es ist eine der Grundannahmen der Arbeit, dass Ansätze, die von einem engen, rein wirtschaftlichen Protektionismusbegriff ausgehen, der die breiteren politischen, kulturellen und teils auch identitätsstiftenden Aspekte protektionistischer Ideen übersieht, ungeeignet sind, das Phänomen des amerikanischen Protektionismus und seine erstaunliche Langlebigkeit hinreichend zu erklären. Letztlich zielt das Projekt damit auf einen kulturell-ideologisch unterfütterten Erklärungsansatz wirtschaftspolitischer Überzeugungen, wie ihn Frank Trentmann für den britischen Fall als eine „colour version of political economy“ umschrieben hat. Die Analyse populärprotektionistischer Agitationsformen beleuchtet zudem, wie das eher alltagsfremde und komplexe Thema der Importzollpolitik seitens protektionistischer Aktivisten gezielt popularisiert, d.h. für ein breiteres Publikum aufbereitet, erklärt und auch emotionalisiert wurde. Ebenso ermöglicht das Projekt eine Annäherung an die Frage, wie einfache AmerikanerInnen die intensiven Zolldiskussionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts wahrnahmen, diese mit sich und ihrer eigenen Lebenssituation verbanden und sich in diese einbrachten.
Damit schließt die Arbeit an neuere Forschungen zur amerikanischen Demokratiegeschichte an und fragt nach den sich entwickelnden Techniken der politischen Agitation und Beeinflussung der öffentlichen Meinung, aber auch nach den Regeln der öffentlichen politischen Auseinandersetzung, die in der sich entfaltenden amerikanischen Massendemokratie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts neu verhandelt wurden. Die Dissertation entsteht im Rahmen des B11-Projekts „Protektionismus und Sozialpolitik in den Amerikas, 1890-2020“ des Sonderforschungsbereichs 1342 „Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik“.
Posterausstellung von Promotionsprojekten 54. Historikertag 2023
Das Promovierendenforum findet erneut im Rahmen des 54. Deutschen Historikertages in Leipzig (19.-22. September 2023) statt.
Neben der Versammlung und einem Austauschworkshop wird die Möglichkeit geboten, Dissertationsthemen visuell auszustellen und somit einer breiten geschichtswissenschaftlichen Fachöffentlichkeit näher zu bringen. Damit soll ein anderes Format geschaffen, um Dialog zu schaffen und ggfs. Kontakte für die eigenen wissenschaftlichen Tätigkeiten zu knüpfen. Für eine wissenschaftliche Vernetzung über die Vor-Ort-Konferenz hinaus ermöglicht die Gerda Henkel Stiftung eine langfristige Zugänglichkeit.
Ein vorrangig auf Schrift ausgerichtetes wissenschaftliches Vorhaben grafisch aufzubereiten bietet Möglichkeiten aber gleichzeitig auch Herausforderungen die eigenen Forschungsinhalte visuell, prägnant und leicht zugänglich zu machen und dennoch fundierte inhaltliche Tiefe einem breiten Publikum zu vermitteln.
Um Interessierten den Zugang zu weiterführenden Informationen und Hintergründen des Posters zu ermöglichen, konnten die Beiträger:innen optionale Inhalte zum eigenen Forschungsprofil, Projektkontexten oder themenbezogenen Formaten ergänzen.
In je einem separaten Beitrag werden die Beiträger:innen und ihre wissenschaftlichen Arbeiten vorgestellt und Poster sowie weitere Inhalte sind abrufbar.
Die Poster sind in deutscher oder englischer Sprache verfasst worden.
Bewerben konnten sich Promovierende jeglichen Arbeitsstands mit ihrem Dissertationsvorhaben. Dem öffentlichen Aufruf sind im Frühjahr 2023 65 Personen gefolgt. Aufgrund der räumlichen Begrenzungen auf dem 54. Historikertag im Foyer Neues Augusteum der Universität Leipzig fand eine Auswahl aus allen Einreichungen statt. Anhand transparenter Auswahlkriterien, die die Forschungsergebnisse selbst im Kontext von Anschaulichkeit, Allgemeinverständlichkeit und Nachvollziehbarkeit gerade für ein fachfremdes Publikum betrachten, hat ein unabhängiges Gremium – bestehend aus Promovierenden, Promovierten und Habilitierten – die Auswahl vorgenommen.