Was macht einen intellektuellen Menschen aus? Es ist ein ganzer Strauß von Begriffen, die mit Intellektualität verbunden sind - darunter Intelligenz, Verstand, Klugheit, Bildung, Belesenheit, Gelehrsamkeit, Erkenntnisvermögen, aber auch eine ausgeprägte Individualität, öffentliches Engagement, politische Intervention, Herrschaftskritik und gesellschaftlicher Widerstand. Der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky vereint in seiner Person viele dieser Begriffe und gehört daher seit Jahrzehnten zu den bekanntesten Intellektuellen der Gegenwart. Entlang seiner Biographie lässt sich studieren, wie aus einem anerkannten Wissenschaftler nach und nach ein allgemein geachteter und bisweilen gefürchteter Intellektueller wurde. Genau das hat der Historiker Dr. Trond Kuster von der Universität Bielefeld getan und dabei die für Historiker nicht selbstverständliche Gelegenheit nutzen können, seinen "Untersuchungsgegenstand" persönlich kennenzulernen und zu befragen. Herausgekommen ist dabei seine Dissertationsarbeit, die unter dem Titel "Widerstand als Waffe. Noam Chomsky und die Rolle des Intellektuellen" erschienen ist. Diese haben wir wiederum zum Anlass genommen, um mit Trond Kuster den Begriff des Intellektuellen weiter zu umkreisen.
"Noam Chomsky bot die nahezu einmalige Möglichkeit"
L.I.S.A.: Herr Dr. Kuster, Sie haben zuletzt ein Buch veröffentlicht, das aus Ihrer Dissertation hervorgegangen ist. Der Titel: "Widerstand als Waffe. Noam Chomsky und die Rolle des Intellektuellen". Bevor wir zu einigen Details Ihrer Arbeit kommen, warum haben Sie den Sprachwissenschaftler Noam Chomsky in den Mittelpunkt Ihrer Untersuchung gerückt? Welche Vorüberlegungen gingen Ihrer Studie voraus?
Dr. Kuster: Vielen Dank zunächst für die Einladung zu diesem Interview. Ich habe mich bereits während meines Studiums mit den Bedingungen gesellschaftlichen und sozialen Wandels – insbesondere in Krisenzeiten – beschäftigt. Eine zentrale Rolle kam zumeist zwei Akteuren zu: Intellektuellen und sozialen Bewegungen. Unter anderen hatte ich mich mit Thomas Mann und seinen Reden und Vorträgen gegen Nazi-Deutschland auseinandergesetzt, die er aus dem Exil in den USA in den 1930er und 1940er Jahren hielt und die teilweise über die BBC auch in das Deutsche Reich gesendet wurden. Außerdem gilt einer meiner Interessenschwerpunkte linken Sozialen Bewegungen, die – wie etwa die Anti-Vietnamkriegsbewegung – oft maßgeblich für gesellschaftlichen Wandel sind. Noam Chomsky bot die nahezu einmalige Möglichkeit, Diskussionen um gesellschaftlichen Wandel, soziale Aushandlungsprozesse und das Ineinandergreifen der Interventionen von Intellektuellen und Sozialen Bewegungen über einen Zeitraum von fast 60 Jahren zu untersuchen.