„Das also war des Pudels Kern. Ein fahrender Skolast?“ ruft Goethes Faust erstaunt aus, als sich bei einem Experiment ein Hund in einen Mann in Schwarz verwandelt. Als der „Faust I“ 1808 veröffentlicht wurde, war die Hochzeit der Scholastik seit knapp 500 Jahren vorüber und ihr als mittelalterlich markiertes Denken sollte in Anknüpfung an die Antike überwunden werden – dabei beruhte sie doch selbst auf der Wiederentdeckung der aristotelischen Philosophie. In seinem in der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung erschienenen Buch „Fröhliche Scholastik. Die Wissenschaftsrevolution des Mittelalters“ zeigt der Historiker Prof. Dr. Frank Rexroth auf, wie die Scholastik unser Verständnis von Wissenschaft bis heute prägt. Wir haben ihm unsere Fragen zur „schola“ gestellt – diesem besonderen Sozial- und Denkraum zwischen Freiheit und Disziplin.
"Was sie über diese Wirklichkeit zu wissen glauben"
L.I.S.A.: Herr Professor Rexroth, gleich der Titel Ihres in der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung erschienenen Buchs „Fröhliche Scholastik. Die Wissenschaftsrevolution des Mittelalters“ wirft Fragen auf. Bevor wir aber zu Einzelheiten kommen, was hat sie dazu bewogen, sich die Scholastik als Thema vorzunehmen?
Prof. Dr. Rexroth: Mir ging es wie vielen Wissenschaftler*innen: Nach Jahren der Arbeit an anderen Themen kam ich zum Gegenstand meiner Dissertation zurück, die die ersten deutschen Universitätsgründungen im 14. Jahrhundert behandelt hatte. Damals war meine Arbeit auf die Universität als eine Organisationsform konzentriert gewesen, das heißt auf die institutionelle Seite der Wissenschaft. Wirklich losgelassen hat mich das Thema nach der Veröffentlichung meines ersten Buches nie, aber allmählich richtete sich meine Neugier irgendwann auf andere Fragen. Im Kern ging es mir fortan darum, den Zusammenhang zwischen dem spezifischen Wissen der Wissenschaft und den sozialen Formen, in denen dieses Wissen entsteht und weiterentwickelt wird, besser zu verstehen. Das ist zur Grundfrage meiner Arbeit überhaupt geworden: Welche Beziehung besteht zwischen der institutionell verfestigten Wirklichkeit der Menschen und dem Denken der Menschen, also dem, was sie über diese Wirklichkeit zu wissen glauben? Außerdem habe ich mich in der Zeit zurückbewegt, ins 12. Jahrhundert hinein, das deshalb so unglaublich produktiv ist, weil die entscheidenden bildungsgeschichtlichen Institutionen allenfalls im Entstehen sind: Studienordnungen, Curricula, akademische Gerichtsbarkeit, ein verbindlicher Verhaltenscodex usw. Man beginnt im 12. Jahrhundert allmählich, über sie nachzudenken, aber sie greifen noch nicht wirklich, sie kanalisieren das Denken noch nicht so stark, wie das 100 Jahre später der Fall ist.