Philosophie und Mittelalter sind in der westlichen Welt mit Denkern wie unter anderen Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Meister Eckhart verbunden. Philosophische Fragen waren aus dieser Perspektive eng mit christlichen verbunden. Doch das ist nur eine Sichtweise auf Philosophie und Mittelalter, die mehr ausschließt, als dass sie umfassen würde, und letztlich auf herkömmliche Optiken beschränkt bleibt. Die Zeitgenossen kannten unsere heutigen Einteilungen in Epochen wie Antike, Mittelalter und Neuzeit nicht, auch unsere geographischen Rahmungen wären ihnen damals fremd gewesen. Vielmehr fand im Mittelalter ein philosophischer Austausch statt, für den Unterschiede in Religion, Kultur und Sprache nicht entscheidend waren - im Gegenteil. In unserem Interview mit dem Philosophen Prof. Dr. Andreas Speer, Direktor des Thomas-Instituts der Universität zu Köln, haben wir diese Zusammenhänge thematisiert.
"Die Universalität der Vernunft in der Vielheit ihrer Sprachen"
L.I.S.A.: Herr Professor Speer, einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Philosophie - wie würden Sie es genauer nennen: die Philosophie des Mittelalters oder die Philosophie im Mittelalter? Letzteres würde eine Kontinuität von den Anfängen der Philosophie in der Antike implizieren, Ersteres indes, dass es eine spezifisch mittelalterliche Philosophie gegeben habe. Wie sehen Sie das – forschen und publizieren Sie zur Philosophie im oder des Mittelalter(s)? Oder macht diese Unterscheidung keinen Sinn?
Prof. Speer: Beide Formulierungen einer Philosophie „des Mittelalters“ oder „im Mittelalter“ spiegeln einen Essentialismus wieder, den ich zunehmend kritisch sehe, so als ob es EINE Philosophie EINER Epoche gäbe. Nun verdankt sich auch die Philosophie der Antike der gleichen Epochenkonstruktion, die ein ganzes Jahrtausend in das Dunkel eines „medium aevum“ taucht, das es durch die „Renaissance“, d.h. die Wiedergeburt der Antike zu überwinden gelte. Zugleich fokussiert sich der Blick allein auf die abendländische Geschichte. Denn von einem byzantinischen, arabischen oder jüdischen Mittelalter zu sprechen, macht schlicht keinen Sinn. Im Gegensatz zu diesem eurozentrischen Konstrukt war die Philosophie in jenem langen Jahrhundert, das die philosophischen Traditionen der Spätantike bis weit in die Neuzeit fortführt (man denke an den höchst lebendigen Schularistotelismus des 18. Jahrhunderts), vielgestaltig, vielsprachig, multikulturell, in unterschiedlichste soziale und religiöse Kontext eingebunden. Wenn man nach einem verbindenden Merkmal sucht, dann ist es die Universalität der Vernunft in der Vielheit ihrer Sprachen.