Die Bundeswehr hat in den vergangenen Monaten einen in ihrer nunmehr 70-jährigen Geschichte beispiellosen Werbefeldzug gestartet: Imageplakate im öffentlichen Raum, Reality-Soaps auf Youtube oder Apps fürs Handy. Nach dem Wegfall der Wehrpflicht ist die Bundeswehr auf Freiwillige angewiesen. Mit Erfolg? Und falls ja, was spricht junge Männer und Frauen an, sich zum Militärdienst zu verpflichten? Welche Rolle spielt dabei das Bild, dass die Bundeswehr von sich selbst sowohl nach innen vorgibt, als auch nach außen in die Öffentlichkeit sendet? Wie steht es dabei um die eigene Geschichte, um Traditionen? Die Traditionserlasse der Bundeswehr geben da einigen Aufschluss und stehen in der vierten Ausgabe von "Der Geschichtstalk im Super7000" im Mittelpunkt der Diskussion mit Prof. Dr. Antje Flüchter, Frühe Neuzeit (Bielefeld), Prof. Dr. Martin Zimmermann, Alte Geschichte (München) und Prof. Dr. Marko Demantowsky, Geschichtsdidaktik (Basel).
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Kommentar
leider konnte ich nur die letzten 20 Minuten Ihrer interessanten Diskussion im Geschichtstalk am 1.2.2018 verfolgen, habe auch nicht die Videoclips gesehen, um die es ja in der Diskussion ging. Persönliche Prämisse: Ich bin 1958 als Offizieranwärter in die Bundeswehr eingetreten, habe sie als Berufssoldat 1970 auf eigenen Wunsch verlassen, wurde aber schon während meines dann folgenden Studiums zu Wehrübungen eingezogen (und befördert) und war dann während des Kalten Krieges in einer maßgeblichen Funktion bei Nato-Übungen an der Schnittstelle "Zivil-militärische-Zusammenarbeit" eingesetzt. Übrigens war in dieser Zeit die zivile Landesverteidigung personell und materiell umfangreicher als die militärische - heute wenig bekannt, aber bedeutsam für das Verständnis der diskutierten Entwicklungen.
Trotzdem einige meiner Eindrücke aus der Diskusion:
Die BW hat sich als Verteidigungsarmee anfangs aus Berufssoldaten, Zeitsoldaten und Wehrpflichtigen zusammengesetzt, daraus erklären sich die sehr unterschiedlichen Motivationen für Eintritt und Arbeit in der BW. Nach Abschaffung der Wehrpflicht wurde die BW zur Interventionsarmee ohne die Wehrpflichtkomponente, entsprechend haben sich die Motivationen drastisch verändert.
Ich habe von den Diskutanten den Eindruck gewonnen, dass sie Struktur und Arbeitsweise einer so riesigen aber auf ein Ziel gerichteten Organisation nicht kennen, weil Erfahrung fehlt und theoretische Kenntnisse sie nicht ersetzen. Die Erfahrungen der Menschen in einzelnen Teilen dieser Institution sind so gravierend unterschiedlich, dass man sie nicht so generalisieren darf, wie in der Diskussion geschehen. Ein Soldat in der Runde hätte diese Schwäche ausgleichen können. Weiterhin waren die Diskussionspunkte so zahlreich und divergierend, dass die Diskussion nirgends adäquat in die Tiefe gehen konnte.
Zum Punkt Traditionsbildung und Bedeutung für die Menschen in der BW. Die entsprechenden Entwicklungen durch die Innere Führung waren in dem überschauten Zeitabschnitt von außen aufgesetzt, politisch gewollt und für die Gesellschaft bedeutungsvoll, für die Soldaten fast ohne Bedeutung: Soldaten arbeiten unter schwersten, belastenden Bedingungen auf Funktionsfähigkeit des Gesamtapparates hin, Kameradschaft ist der Kitt. Traditionen und Vorbilder aus der Vergangenheit haben für sie keine große Bedeutung, wohl aber das Feiern vorbildhafter Pflichterfüllung ihrer Einheit, ihres Verbandes, ihres Stabes. Gute Truppenführer beherrschen das und machen diese Vorbilder sichtbar, die identitätsstiftend sind, wo von der Politik aufgesetzte "Traditionen" bedeutungslos bleiben.
Zum Punkt Nachwuchswerbung für die BW. Da mit Abschaffung der Wehrpflicht die organische Nachwuchsschaffung verloren ging, zugleich die Aufwuchsfähigkeit der BW stark geschwächt wurde, bleibt nur der Weg, zivile Werbemethoden einzusetzen - ein systemischer Fehler. Es macht daher keinen Sinn, die Schönfärberei von Werbekampagnen zu beklagen.
Zum Punkt Auslandseinsätze. Bei Beginn des Einsatzes in Afghanistan ("Sicherheit am Hindukusch verteidigen") war jedem informierten Bürger klar, dass der Einsatz in einem islamischen Land (Religion, Staat, Bevölkerung werden als eine Identität gelebt), einem Land mit Clanstruktur nicht gelingen kann. Bei diesem Vorhaben waren das mächtige britische Empire und die mächtige Sowjetunion doch schon gescheitert. Die Politik hat also der Armee eine nicht lösbare Aufgabe gestellt, weder sinnvoll noch moralisch. Für die zahlreichen weiteren Schauplätzen von Auslandseinsätzen der BW gilt das überwiegend auch. Zu Recht wurde in der Diskussion die Beschränkung auf Verteidigungsaufgaben angemahnt.
Zum Punkt Perspektiven gemeinsamer Verteidigung in Europa. Wir stehen in einem weltweiten Umbruch in dem das Vordringen von Populismus in der politischen Meinungsbildung, nationalistischer Egoismus und die Verteufelung der Leistungen der EU durch die sie tragenden Regierungen selbst eklatant sind. Die USA, der wichtigste Bündnispartner in der Nato, haben ihre weltpolitische Interessen völlig verändert. Ihr Einfluss hat in den letzten Jahren zur unnötigen Konfrontation mit Russland geführt, für Europa schädlich für seine Sicherheits- und Wirtschaftinteressen. Traurig, dass die stärkste Volkswirtschaft Europas den durch die Finanz- und Wirtschaftskrisen strauchelnden Ländern im Süden und im Westen nicht beigesprungen ist, sondern durch Austeritätspolitik zur Destabilisierung deren Gesellschaften beigetragen hat. Ein schnelles Handeln zur Neuformulierung der Ziele der EU - ein pro-europäisches Fenster hatte sich mit Macron in Frankreich gerade aufgetan - ist nach der letzten Bundestagwahl durch Zögerlichkeit zunichte gemacht worden. Dadurch ist die Bildung eines "Europa der zwei Geschwindigkeiten" verzögert, vielleicht verhindert worden. Sie wäre aber auf den Gebieten Sicherheit, Finanzen, Steuerwesen, Wirtschaft dringend notwendig, soll Europa nicht in Bälde zwischen den Wirtschaftsinteressen Chinas und der USA zerrieben werden. Bei den Armeen bestehen dafür bereits die besten Voraussetzungen, multinationale Großverbände und -Stäbe und eingeübte Zusammenarbeit. Das Problem liegt weniger bei den Soldaten als vielmehr bei der Politik.
Johann-Philipp Bockenheimer, Linden
pbockenheimer@web.de