Hedwig Richter ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Zuletzt erschien von ihr bei Suhrkamp „Aufbruch in die Moderne. Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich. Berlin 2021"
Mehr Freiheit, mehr Forschung!
Utopia. Die Zukünfte der Geschichtswissenschaft | Visionen und Positionen von Hedwig Richter
Was sind die zentralen Probleme der deutschen Geschichtswissenschaft? Oder: Wo steht die Geschichtswissenschaft deshalb gegenwärtig?
Es fällt mir schwer zu sagen, was die zentralen Probleme sind. Das hängt auch vom jeweiligen Bereich ab: Frühe Neuzeit, Zeitgeschichte, Public History etc. Ein entscheidendes Problem ist zweifellos auch in der Geschichtswissenschaft, wie Machtverhältnisse besser gestaltet werden, Freiräume auch für Nicht-Professoren geöffnet und die Abhängigkeiten vermindert werden. Ein zweiter Punkt ist die Digitalisierung. Als eher konservatives Fach tun sich manche schwer damit. Zur Digitalisierung gehören nicht nur die Digital Humanities, sondern auch die Öffnung zu Open Access oder die Kommunikation auf Sozialen Medien. Inhaltlich bildet das Anthropozän die größte Herausforderung. Was müsste die Geschichtswissenschaft aus der Gegenwart des Klimawandels lernen? Was bedeutet das für die Lehre?
Was zeichnet die deutsche Geschichtswissenschaft aus? Welche bestehenden Aspekte sollten gestärkt werden?
Insgesamt die Bodenständigkeit, die Nähe zur Empirie, der ganze Schatz der Archivarbeit – was sich gut mit der Lehre verbinden lässt. Diese zeitintensive Forschung braucht eine gute Grundausstattung – also auch hier wäre es wichtig, die Universitäten besser auszustatten, um auch im Alltag Freiräume für Forschung zu schaffen und nicht nur in den Freisemestern und nicht nur auf Professor:innenebene.
Ich denke, dass der globale Zugriff in der Forschung mittlerweile angekommen ist, aber eine Stärke ist gleichwohl, dass Geschichtswissenschaft schon aufgrund der Archiv-Organisation die nationalen Logiken reflektieren muss. Das ist wichtig für die Zukunft: Wie lassen sich Nation und die notwendige Globalisierung (und Europa!) miteinander vereinen, wie stehen sie zueinander, was bedeuten die unterschiedlichen Referenzräume für eine Geschichtswissenschaft im Anthropozän?
Wie sieht die beste aller Zukünfte der Geschichtswissenschaft aus? Und was machen wir da auf welche Weise, wenn es keinerlei Beschränkungen irgendwelcher Art gäbe?
Die Forschung ist für alle freier, Abhängigkeiten sind minimiert, es gibt so viel Geld, dass jede Wissenschaftlerin Archivreisen unternehmen und einmal im Jahr einen Workshop organisieren kann, ohne Drittmittel beantragen zu müssen.
Was würdest/würden Du/Sie gerne in einer optimalen Geschichtswissenschaft auf die Beine stellen? Warum geht das gegenwärtig nicht und was müsste man ändern?
Die Beschränkung des Drittmittelwesens auf Projekte, die wirklich nur in Verbünden bearbeitet werden können – und bei denen dieses große Design tatsächlich sinnvoll ist. Ein Großteil der öffentlichen Drittmittelgelder müsste direkt an die Universitäten fließen. Ansonsten sollten Historiker:innen so ausgestattet sein, dass sie ihre Zeit in Lehre und Forschung stecken können.