Ein halbes Dutzend Ortswechsel und fast dreimal so viele Umzüge prägen mein (Arbeits-)Leben. Nach dem Studium (Geschichte/Kunstgeschichte/Museumsmanagement) und einer Wiss. Mitarbeiterinnenstelle in Hamburg, habe ich lange in verschiedenen Positionen an der Uni Basel gearbeitet und währenddessen ein paar Jahre in Schweden gelebt. Nach einem Intermezzo als akademische Oberrätin in Bielefeld bin ich zur Zeit Vertretungsprofessorin für Mittelalterliche Geschichte in Tübingen – zu 50 Prozent. In der anderen Hälfte meiner Arbeitszeit kommuniziere, coache, lektoriere und forsche ich und arbeite im Redaktionskollektiv von traverse – Zeitschrift für Geschichte / Revue d’histoire.
Ko-Denken – akademisches Arbeiten als unsichtbares kooperatives, kollaboratives und kommunikatives Projekt
Utopia. Die Zukünfte der Geschichtswissenschaft | Visionen und Positionen von Anja Rathmann-Lutz
Probleme und Stärken der (deutschen) Geschichtswissenschaft
Eins vorab: ich halte strukturelle Veränderungen an den Universitäten und in der Förderlandschaft für dringend geboten. Dazu wurde aber – auch hier[1] – schon viel geschrieben, daher greife ich heute einen anderen Aspekt heraus, der mir wichtig erscheint: die fehlende Anerkennung für gemeinsames Forschen und Lehren und der daraus resultierende Zeitmangel.[2]
Gerade in den humanities und speziell in der Geschichtswissenschaft sind Forschungs- und Publikationstätigkeit auf die Profilierung Einzelner durch Publikationen ausgerichtet und Lehre nimmt in den meisten Karriereplänen ohnehin einen der hinteren Plätze ein, weil die Erfahrung zeigt, dass nach Verklingen der Sonntagsreden doch wieder nur auf Publikationslisten geschaut wird. Doch seien wir ehrlich: es wird viel zu viel veröffentlicht, gleichzeitig aber nicht unbedingt das, was wir lesen wollen und andersherum schreiben wir selbst – nach unserer eigenen oder der Meinung anderer – nie genug. Der hohe Produktionsdruck ist aber weder im Sinne eines Mehrwerts für die Forschung effektiv noch mit Bezug auf eine sinnvolle Verwendung von Arbeits- und Lebenszeit effizient. Er trägt auch nicht zur viel beschriebenen Qualitätssicherung bei, verbessert nicht die Wissenschaftskommunikation und verhindert, dass (mehr) Zeit in die Vorbereitung und Begleitung der Lehre fliesst.
Dabei gibt es traditionelle und neue Orte des Austauschs und der Zusammenarbeit, die man stärken könnte, indem man ihnen mehr Raum gibt und in denen Betreuung von Studierenden und Doktorand*innen ebenso ihren Platz hat wie Wissenschaftskommunikation und, ja, auch Forschung (die dann auch nicht ausschliesslich vom bröckelnden Elfenbeinturm aus betrieben wird): dazu gehören die an deutschen Unis gut eingespielten Kolloquien, der informelle Austausch unter Kolleg*innen und ein Sprechstundensystem, das (jedenfalls theoretisch) Zugänglichkeit für alle vorsieht. Spätestens seit der Pandemie wissen wir auch zoom-Meetings von Teams und Projektgruppen zu schätzen (oft in Randzeiten, was gerade für Eltern Segen und Fluch zugleich sein kann), – nicht nur – Doktorand*innen glänzen auf Science Slams und Langen Wissenschaftsnächten, Unis bieten öffentliche «Sie fragen–Wir antworten»-Formate an u.v.m.
Zukünfte – WunschKOnzert
Wie kann dieses «Raum geben» nun aussehen? Zum einem ist es erstmal durchaus materiell gemeint: Tische in Teeküchen mit Fenstern, Besprechungs- und Gemeinschaftsräume, die tatsächlich auf Kommunikation und Zusammenarbeit ausgelegt sind (jenseits von Bibliothek, Gang und Poolbüros), Bänke und Tische in Aussenbereichen – all das trägt dazu bei, Gespräche anzustossen und zunächst einmal den Austausch vor Ort zu ermöglichen.
Das «Raum geben» ist aber anderseits auch und vor allem zeitlich zu verstehen. Wie der Titel meines Beitrags es schon ankündigt, würde ich mir für die «beste aller Zukünfte», neben den strukturellen Verbesserungen, die hier bereits mehrfach angemahnt wurden, ein Umfeld für Forschung und Lehre wünschen, das Kooperation, Kollaboration und Kommunikation priorisiert und das heisst vor allem: Zeit dafür gibt.
Gespräche und Zusammenarbeit können gefördert werden, indem z. B. die Arbeit an Blogs und Social Media WissKomm, das regelmässige informelle Gespräch mit Kolleg*innen und Student*innen Teil der Stellenbeschreibungen und damit der bezahlten Zeit von Forscher*innen werden – das System verlässt sich hier viel zu sehr auf die intrinsische Motivation aller Beteiligten. Idealerweise holt man daher die zwischenmenschlichen Kontakte und die interessanten und innovativen Ideen aus der Freizeit zurück in die Arbeitszeit, gerade weil man nicht genau sagen kann, wo die die konkrete Projektbesprechung endet und das kreative Denken und Herumspielen anfängt.
Realistische Zeitbudgets halten in dieser Ko-Zukunft ein gewisses Kontingent für das Schwelgen in verrückten Ideen, das Zusammensitzen, Brüten und ja, auch für das Scheitern von Projekten bereit.[3] Das macht nicht faul und unproduktiv – im Gegenteil: wenn jenseits der verbrieften Arbeitszeit ohne Angst vor Burn-Out und Verlust von privaten Sozialkontakten agiert werden kann, melden sich Ideen sicher auch weiterhin beim Gärtnern, Eltern sein oder Downhillracing. Man (und die Wissenschaft) ist aber nicht mehr darauf angewiesen.
Es braucht diese Zeit, um mit Menschen, mit denen man nicht eh schon ewig zusammensitzt, die weit weg oder noch nicht so geübt sind – Studierende, Doktorand*innen, Nichtwissenschaftler*innen – Projekte zu entwickeln und an ihnen zu arbeiten. Vor allem aber jenseits der Projektlogik greift das. Um nur ein Beispiel aus meinem Teilfach, der Mediävistik, zu nennen: wir sind inzwischen alle sehr gut darin, die geforderte Internationalität und Interdisziplinarität unserer Forschung (manchmal sogar der Lehre) zu betreiben und zu ‘verkaufen’. Der Austausch aber, vor allem auch mit den Fachkolleg*innen der anderen Epochen, geht mehr und mehr verloren, das transepochale Gespräch ist uns abhanden gekommen – sowohl inhaltlich als auch was die Ziele, Methoden und Theorien des Faches angeht. In einer «optimalen Geschichtswissenschaft» ist für die nötige, ausufernde Kommunikation und den Mehraufwand für echte Kollaboration in den Projekten ebenso Zeit wie für solche Grundlagengespräche unter Kolleg*innen. Nicht alles, was hier gesprochen und angepackt wird, landet bei den PR-Abteilungen der Universitäten oder in Zwischen- und Abschlussberichten an die Förderinstitutionen. Am Ende haben Alle mehr davon, wenn nicht jede heisse Luft gleich in einen Antrag mündet und jedes kleine Projekt zig Aufsätze generieren muss, um möglichst sichtbar zu sein. Denn das ist mein letzter Punkt: die ganzen Ko-s tendieren dazu, unsichtbar zu sein. Sie funktionieren so gut, weil sie nicht ständig «hier» schreien.