Der Bundestagswahlkampf 2017 ist gemessen an den Kampagnen der Parteien ein recht geschichtsloses Unterfangen. Die Wahlplakate und die dazugehörigen Slogans scheinen weit überwiegend ohne historische Bezüge auszukommen. So der erste Eindruck. Auf dem zweiten Blick aber verbergen sich doch bereits in diesen sehr plakativen Formen des Wahlkampfs verschiedene Vorstellungen von Geschichte und mehrere Anspielungen auf die drei Dimensionen von Zeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese herauszudestillieren, ist das Vorhaben der ersten Ausgabe von Der Geschichtstalk im Super7000, die am 14. September 2017 live gestreamt wurde. Über das Thema "Wahlkämpfe als Geschichtskämpfe? Politik historisch" diskutieren die Historikerinnen und Historiker Prof. Dr. Antje Flüchter von der Universität Bielefeld, Prof. Dr. Eva Schlotheuber von der Universität Düsseldorf und Prof. Dr. Marko Demantowsky von der Pädagogischen Hochschule FHNW in Basel. Moderiert wird das Gespräch von Georgios Chatzoudis.
Ausgangsposition von Marko Demantowsky
Zwischen welchen Zukunftsoptionen können wir wählen? Welche Erzählungen werden uns angeboten, um diese Optionen plausibel und attraktiv zu machen? Die aktuellen politischen Angebote erscheinen mir – zumindest in Deutschland – bemerkenswert zurückhaltend, wenn es um politisch-historische Sinnstiftung geht. Die Wahl fällt auch deshalb vielen schwer. Dabei sind solche Erzählungen doch wesentlich für eine gesamtgesellschaftliche Mindest-Kohäsion und die Fähigkeit zur Integration von „Fremden“. Anscheinend leben die meisten von uns momentan politisch wie in einer mühsam verewigten Gegenwart, pfeifen gleichsam im Wald, amüsieren sich zu Tode, weil die Zukunft pessimistisch nicht thematisiert werden will und diese ominöse Vergangenheit ihren Wert für uns zwangsläufig einbüsst. [Kein Wunder, dass auch die Leitkategorie des Geschichtsunterrichts heute „Kompetenz“ heisst.] Wozu noch Geschichte?, ist nach wie vor eine zu beantwortende Frage. – Wir sind umringt von kulturellen Beruhigungsmitteln, und das nicht nur auf der Berliner Geschichtsbaustelle. Kein Wunder dann auch, dass die Zuspitzung dieser Stillstellung: der radikale, teils völkische Konservatismus für die Sehnsucht nach Sinn ein veritables Angebot darstellt. Meine These ist deshalb: Ohne Vision muss man zum Arzt. Auch die westliche Demokratie.