Von den Verfolgungen des „Schwarzen Todes“ 1348–1350 sind nur wenige Regionen der deutschen Lande (im Norden und Osten) verschont geblieben. Doch schon bald nach den verheerenden Pogromen begannen die Überlebenden sich zu reorganisieren und das Siedlungsnetz wiederaufzubauen, wie Dr. Jörg Müller (Universität Trier) in seinem Vortrag zeigt. Als Ausgangspunkte dienten vornehmlich die traditionellen religiösen und gemeindlichen Zentren. Dabei kam den Juden in den ersten zwei bis drei Jahrzehnten nach den Verfolgungen zugute, dass die städtische Wirtschaft – insbesondere nach den durch die Pest verursachten Umbrüchen – ebenso wenig auf die Leistungsfähigkeit der Juden als Geld- und Kreditgeber verzichten konnte wie territorialpolitisch ambitionierte Herrschaftsträger. In dieser Situation ist es – freilich ausschließlich finanzkräftigen oder beruflich anderweitig spezialisierten – Juden vielfach gelungen, sich Handlungsspielräume zu verschaffen und angesichts miteinander konkurrierender christlicher Herrschaftsträger häufig günstige Ansiedlungsbedingungen zu erlangen. Ursächlich für den Stellenwert, den die althergebrachten zentralen Orte im Rahmen der Reorganisation jüdischen Lebens einnahmen, waren ebenso kultisch-kulturelle, herrschaftliche, wirtschaftliche und familiär-soziale Aspekte wie die mit den jüdischen Friedhöfen verbundene memoria und vermutlich auch ein gewisses Maß an „Heimatverbundenheit“. Doch bereits in den siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts setzte eine allmähliche, multikausal bedingte Verschlechterung jüdischer Lebensverhältnisse ein, die unter anderem auch zur Abwanderung zahlreicher Juden aus dem Reichsgebiet nach Norditalien führte.
Ringvorlesung "Die Vertreibung der Kölner jüdischen Gemeinde 1423/1424 im europäischen Kontext"
Vor 600 Jahren, im August 1423, fasste der Rat der Stadt Köln den Beschluss, die Aufenthaltsgenehmigung für Juden und Jüdinnen in Köln nicht mehr zu verlängern. Der jüdischen Gemeinde Kölns sollte nur ein Jahr Zeit bleiben, um ihre Habe vor Ort zu verkaufen und einen neuen Lebensmittelpunkt zu finden. Ihr Auszug bedeutete das Ende der dauerhaften jüdischen Ansiedlung innerhalb der Stadt für die nächsten fast vier Jahrhunderte. Über dieses einschneidende Ereignis informiert uns heute nur noch ein kurz gefasstes Ratsprotokoll. Erst acht Jahre später legte der Stadtrat seine Gründe für die Vertreibung in einem Brief an Sigismund, den königlichen Stadtherrn und damit obersten Schutzherrn der Kölner jüdischen Gemeinde, dar.
Ausgehend von den Kölner Ereignissen thematisiert die Ringvorlesung die große Zahl an Judenvertreibungen im europäischen Kontext, die ab dem 14. Jahrhundert wellenartig einsetzten. Neben den Motiven für den wachsenden Judenhass sollen auch die massiven Auswirkungen für Jüdinnen und Juden in den Blick genommen werden.
Die Ringvorlesung im Wintersemester 2023/24 beginnt im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums und findet anschließend an den Universitäten Köln und Münster statt. Aufgrund der beiden universitären Standorte werden die einzelnen Vorträge der ausgewiesenen Expert:innen nicht nur als Präsenzveranstaltung gehalten, sondern parallel auch über einen Livestream zugänglich gemacht. Die entsprechenden Links sind kurz vor den Terminen auf den Seiten https://histinst.uni-koeln.de/forschung/forschungsstellen/geschichte-koelns/aktuelles und https://www.uni-muenster.de/Geschichte/histsem/LG-G/Termine/ringvorlesung.html verfügbar.