Dr. Uta Hinz (Universität Düsseldorf) gibt in ihrem Vortrag einen Überblick über die Themen Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in Europa während des Ersten Weltkriegs. Einen besonderen Schwerpunkt legt sie dabei auf die Radikalisierungsprozesse, die im Verlauf des Kriegs nachzuweisen sind. Sie zeigt dabei auf, dass die Stellung von Kriegsgefangenen und ihre Behandlung durch die Kriegsgegner grundsätzlich verbindlichen rechtlichen Regelungen unterworfen waren, die sogar vereinzelt eine weitere Ausdifferenzierung während des Kriegs erfuhren. Bereits Ende 1914 / Anfang 1915 aber sei eine Erosion dieser Regeln und eine Radikalisierung in der Behandlung von Kriegsgefangen nachzuweisen. Ursächlich dafür wäre die von allen Beteiligten instrumentalisierte Feindpropaganda, insbesondere die Auswirkungen gegenseitiger Schuldzuweisungen. Mit zunehmender Kriegsdauer wirkte sich in Deutschland zudem die ökonomische Totalisierung des Krieges aus. Im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg sei aber die zunehmende Radikalisierung im Umgang nicht als linerarer Prozess zu betrachten, der sich unumkehrbar gesteigert hätte.
Ringvorlesung »1914/15 - Weltkrieg, Massentod, Völkermord - "Gewaltdynamiken" im Blick der Forschung«
Im Rahmen der Ringvorlesung werden ausgewiesene Experten systematisch Einzelaspekte der Gewaltgeschichte des Ersten Weltkrieges diskutieren. Dabei werden die einzelnen Vorträge insbesondere die neue Qualität von Gewaltpraktiken und Gewalterfahrungen im Ersten Weltkrieg in den Blick nehmen sowie die Veränderung von Räumen und Regionen thematisieren. Zudem sollen insbesondere jene „anderen Fronten“, die im Rahmen der aktuell sehr dichten Diskussionen über den Ersten Weltkrieg weniger Berücksichtigung finden, in das Zentrum gerückt werden: Der Krieg in den Kolonien, in der Mittelmeerregion und im Nahen Osten. Integriert werden zudem metatheoretische und forschungsgeschichtliche Betrachtungen zum Ersten Weltkrieg. Nicht zuletzt wird eine kritische Reflektion der Schwerpunkte der aktuellen wissenschaftlichen, öffentlichen und medialen Thematisierung des Kriegsausbruchs im Jahr 1914 sowie der neuen Diskussionen um „Kriegsschuld“ und „Verantwortung“ erfolgen.