Mit einigem Befremden lese ich auf dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung in einem Interview zum „Wesen der chinesischen Universitätslandschaft“, dass in der Volksrepublik China „frei geforscht und diskutiert“ wird. Ich kenne die Motive des Interviewpartners, Herrn Dr. Bartosch, nicht, würde es aber verstehen, wenn ein in China arbeitender deutscher Wissenschaftler seinen Aufenthalt nicht gefährden will und die berechtigte Frage, ob es dort nicht „politisch autoritär“ zugehe, mit Zurückhaltung und der chinesischen Seite entgegenkommend beantwortet. Etwas anderes ist aber das Bild, das die Gerda Henkel Stiftung von sich selbst vermittelt. Selbstverständlich wird sie die Ansichten ihrer Stipendiaten nicht zensieren wollen. Aus der Versicherung von Herrn Dr. Bartosch die Titelbotschaft des Interview zu machen und sie kommentar- und kritiklos ins Netz zu stellen, könnte allerdings auf eine Arglosigkeit und Uninformiertheit, wenn nicht Gleichgültigkeit schließen lassen, die für eine der freien Forschung verpflichtete Organisation bemerkenswert wäre. Denn anders als in der von der Stiftung verbreiteten Darstellung von Herrn Dr. Bartosch suggeriert, ist China ein Land, das sich in seiner Verfassung nach wie vor zu Recht als Diktatur bezeichnet und in dem gerade die Geistes- und Sozialwissenschaften mit politischen Vorgaben gegängelt werden. Erst vor kurzem wurde sogar versucht, die von Cambridge University Press, also gar nicht in China selbst herausgegebene Zeitschrift China Quarterly zu zensieren (https://www.theguardian.com/education/2017/aug/21/cambridge-university-press-to-back-down-over-china-censorship). Zur Information über das tatsächliche „Wesen der chinesischen Universitätslandschaft“ empfehle ich die Lektüre des Dokuments des Generalbüros des Zentralkomitees der KP Chinas und des Generalbüros des Staatsrats der VR China von 2015 „Zur weiteren Stärkung und Verbesserung der Propaganda und der ideologischen Arbeit im höheren Bildungssystem“, in englischer Übersetzung nachzulesen unter https://chinacopyrightandmedia.wordpress.com/2015/01/19/opinions-concerning-further-strengthening-and-improving-propaganda-and-ideology-work-in-higher-education-under-new-circumstances/. Hinweisen möchte ich auch auf die Veranstaltung der Fritz-Thyssen-Stiftung „Academic Freedom in China and Hong Kong: Quo Vadis?“ am 6. November 2017, die vermutlich ein kritischeres Bild China vermitteln wird als Herr Dr. Bartosch. Natürlich hat jeder das Recht, seine Arbeit so einzurichten, dass er mit ihr nicht aneckt. Auf einem anderen Blatt steht, ob die Gerda Henkel Stiftung mit einer solchen Auffassung von Wissenschaft, wie sie aus dem Interview spricht, identifiziert werden möchte.
Heiner Roetz
Geschiche und Philosophie Chinas
Ruhr-Universität Bochum
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