Alfred Wilhelm Magnus wurde am 19. April 1880 als Sohn des Kaufmanns Wilhelm Magnus und dessen Ehefrau Elisabeth geb. Dove in Ramle (Ägypten), einem Vorort von Alexandria, geboren. Seine Eltern zogen noch vor seiner Einschulung nach Wiesbaden. Dort absolvierte er das humanistische Gymnasium und nahm danach ein Chemiestudium in München auf. Wie einem selbst formulierten Lebenslauf aus dem Jahr 1922 zu entnehmen ist belegte er nach einem erfolgreichen Verbandsexamen und Doctorandum für das weitere Studium die Nebenfächer Physik und Mathematik. In Berlin nahm er eine erste Assistententätigkeit bei Professor Walther Nernst auf. Am 1. Juni 1908 wechselte Magnus als Assistent an die Universität Tübingen, wo er Unterricht in physikalischer Chemie erteilte. Dort wurde er im Sommer 1910 habilitiert. Am 15.11.1915 wurde Magnus als Ungedienter und dauernd garnisiondienstfähiger als Landsturmrekrut in Tübingen eingezogen. Nach einer Ausbildungszeit wurde er als Soldat, später als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in eine Artillerie-Prüfungskommission versetzt. Dort blieb er bis zum Kriegsende. Im März 1916 wurde er in Tübingen zum außerordentlichen Professor ernannt um nach dem Krieg, einen besoldeten Lehrauftrag, für zwei Wochenstunden im Semester (!), zu erhalten. 1922 ließ er sich in Tübingen beurlauben um an die Frankfurter Universität überzusiedeln. Dort wurde er von der Naturwissenschaftlichen Fakultät, für die Nachfolge des emeritierten Professors Richard Lorenz, auf die beim Hessischen Kultusministerium vorzulegende Besetzungsliste auf Platz 1 gesetzt. Die Professur wurde 1930 jedoch mit dem Bruder der 1945 von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfer Klaus und Dietrich Bonhoeffer, Karl-Friedrich Bonhoeffer, besetzt. Der Protest und Einspruch von Alfred Magnus wegen dieser Benachteiligung bescherte ihm bereits im Juni 1933, massive Schwierigkeiten durch ein Disziplinarverfahren das ihm der neue Rektor der Universität, Prof. Ernst Krieck, anhängte.
Pg. Prof. Krieck, Universität
Betr. Prof. Magnus, Inst. f.phys. Chemie, Rich. Meyerstraße 6 [sic!]
Nach einer uns vorliegenden Meldung hat Obengenannter Bestechungsgeld angenommen. Der Fall ist folgendermassen zu erklären:
Prof. M. hat s.Zt. einen Prüfling, der krank war, im Hause geprüft. Der Assistent des Prof. M. Giebenheim (Dr.) hat einige Tage vorher festgestellt, dass der Prüfling, welcher Jude ist, den Ansprüchen der Prüfung nicht gewachsen war. Trotzdem hat Prof. M. denselben in seinem Hause (beim Prüfling) geprüft und die Prüfung wurde bestanden.
Daraufhin erfolgte Dankschreiben seitens des Vaters nebst Geldspende an das In-stitut. Von diesem Gelde wurde eine wissenschaftliche Arbeit des Dr. Oppenheimer (Jude) bestritten. Prof. M. ist im nat.-soz. Deutschen Assistentenbund und hat s. Zt. geäussert, er wäre mit dem Juden Mendelssohn-Bertholdy [sic!] verwandt.
Als Zeugen stellen sich folgende Personen zur Verfügung: Giebenheim, am selben Institut, Weidlich, Lehrkraft am Institut, SA-Mann Uni-Mechaniker Krüger,
Heil Hitler! Klaeger Kreispropagandaleiter
Dieses Disziplinarverfahren führe zu einer elfmonatige Zwangsbeurlaubung. Da die Beschuldigungen nicht bewiesen werden konnten musste Magnus an der Universität wieder zugelassen werden. Unter den, mittlerweile auch an der Universität weitverbreiteten üblen nationalsozialistischen Verhältnissen und der Abstempelung als Antifaschist hatte Magnus erheblich zu leiden. Er selbst schrieb am 29. August 1946 von einer schlechter Behandlung durch die verschiedensten Gremien und Personen der Universität und das seine Besoldung herabgesetzt wurde. Geschwächt von diesem Nervenkrieg entschloss sich Alfred Magnus schließlich am 15. August 1939 seine Kündigung zum Stichtag 30. September 1939 einzureichen. Dass er wenige Tage vor Ablauf dieses Datums die Universität verlassen und nach Leipzig wechseln konnte, der 2. Weltkrieg war inzwischen von Hitler vom Zaun gebrochen worden, verdankte er K.-F. Bonhoeffer, der 1934 nach Leipzig gewechselt war und ihn als Kriegsvertretung nach Sachsen berufen hatte, wo er bis Kriegsende blieb. Prof. Magnus hatte während dieser Zeit seine Frankfurter Wohnung, im Grüneburgweg 125, behalten. Während seines Osterurlaubs 1945 war er in Frankfurt und erlebte den Einmarsch der amerikanischen Truppen, was eine Rückkehr nach Leipzig ausschloss. Er blieb deshalb in Frankfurt und stellte sich Prof. Max Seddig, den er von früher kannte, als wissenschaftliche Hilfskraft zur Verfügung. Magnus half so tatkräftig mit, von der Universität zu retten was noch zu retten war. Weil die Wohnung im Grüneburgweg innerhalb des amerikanischen Sperrgebietes lag und beschlagnahmt worden war musste Familie Magnus sich eine andere Bleibe suchen. (Im Adressbuch des Jahres 1953 findet sich ein Eintrag für die Leipzigerstraße 51). Bereits im Dezember 1945 wurde Alfred Magnus vom Frankfurter OB, Dr. Blaum, aufgefordert, mit der Universität in Berufungsverhandlungen zu treten um das völlig zerstörte Institut für physikalische Chemie wieder in Gang zu setzen. Die erwartete Berufung stellte sich allerdings nicht ein, stattdessen wurde ihm, im Februar 1946, ein jederzeit widerrufbarer Lehrauftrag mit einer Besoldung von nur 500 RM monatlich erteilt. Im Februar 1947 wurden unabhängig voneinander drei auswärtige Professorenkollegen um eine gutachterliche Einschätzung der Person Magnus gebeten. Einer der Angesprochenen war sein früherer Vorgesetzter K.-F. Bonhoeffer, der sich u.a. so äußerte:
... Herr Professor Magnus hat grosse Verdienste um den physikalisch-chemischen Unterricht an der Universität Frankfurt a.M.. Er hat sich ungewöhnliche Mühe um diesen Unterricht gegeben, und ich habe oft von Studenten sein pädagogisches Geschick rühmen hören und in Prüfungen seinen Erfolg feststellen können. Es ist zweifellos, dass er dabei die Forschung vernachlässigt hat, und dass sich sein Unterricht mehr auf die elementaren und zu Anfang des Jahrhunderts modernen Dinge, die ja auch gebracht werden müssen, nicht leicht einen hingebenderen Lehrer finden. Ich halte es jedenfalls für eine Pflicht der Fakultät dafür zu sorgen, dass Professor Magnus, nachdem er durch viele Jahrzehnte der Universität gedient hat, einmal eine gewisse Anerkennung und eine Versorgung für sein Alter erhält. Aber, selbst wenn das auf andere Weise möglich ist, als durch eine Berufung auf den Lehrstuhl, würde ich doch unter den heutigen Verhältnissen für eine Berufung sein, vorausgesetzt, dass sich Prof. Magnus noch in dem Zustand der Leistungsfähigkeit befindet, indem ich ihn vor einigen Jahren das letzte Mal gesehen habe.
Dass eine derartige Beurteilung nicht zu einer baldigen Berufung führte erstaunt auch heute noch. Dieses Erstaunen brachte Bonhoeffer am 24.11.1948 (!) nach einer erneuten Anfrage zum Ausdruck:
Ihre Anfrage nach Vorschlägen zur Wiederbesetzung des Lehrstuhls für physikalisiche Chemie bringt mich in Verlegenheit. Ich hatte angenommen, dass die Ernennung von Herrn Professor Magnus ausser Frage stünde oder daß sie sogar bereits erfolgt sei. ... Als Wissenschaftler und Forscher hat er sich einen auch ausserhalb Deutschlands bekannten Namen gemacht. Seine Arbeiten über spezifische Wärmen von Festkörper, seine Theorie der Koordinatenzahl anorganischer Verbindungen und seine Experimentaluntersuchungen auf dem Gebiet der Adsorption von Gasen haben eine grosse Bereicherung unseres Wissens gebracht.
Die erhoffte Ernennung zum ordentlichen Professor erfolgte schließlich zum 1. August 1949. Zum gleichen Datum erfolgte auch seine Versetzung in den Ruhestand. Über diesen symbolischer Akt hinaus wurde für die Berechnung seines Ruhegeldes angeordnet, davon auszugehen die Ernennung sei bereits 12 Monate zuvor erfolgt.
Professor Magnus starb am 28.Oktober 1960 in Frankfurt am Main. Er hinterließ seine Ehefrau und drei Kinder und wenigstens ein Enkelkind. Die in der Todesanzeige angegebene Kondolenzadresse war die bereits erwähnte Wohnung im Grüneburgweg.
Quelle: Universitäts-Archiv Frankfurt am Main, Signaturen; UAF, Abt. 4 Nr. 1478; UAF, Abt. 13 Nr. 196; UAF, Abt. 144 Nr. 171;
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