Die meisten Fischarten, die den deutschen Süßwasserfischern in den letzten Jahrhunderten wertvolle Fänge garantierten, wechseln ihren Lebensraum zwischen Ozeanen und Flüssen. Im Frühjahr wandern Lachse und Forellen von der Nordsee in die Oberläufe von Weser und Rhein, um ihre Laichgründe zu erreichen; Aale verbringen den größten Teil ihrer Lebenszeit im Süßwasser, bevor sie zum Brüten und Sterben ins Meer zurückkehren. Diese Migrationsströme haben entlang der deutschen Flüsse eine räumliche Dynamik ausgelöst - von der Mikro- bis zur Makroebene (und zurück), die durch ausgeprägte lokale Fischereipraktiken, Bemühungen um den Fischschutz und lokale Ernährungskulturen gekennzeichnet ist; je nachdem, wo bestimmte Arten an einem Flussabschnitt während der Migrationsperiode vorkamen (oder nicht).
In seinem Vortrag integriert Zumbrägel Perspektiven aus der Umweltgeschichte und den Human-Animal Studies mit einem starken Fokus auf Räumlichkeit, um ein neues Verständnis von "fließenden Räumen" zu entwickeln. Indem er den Spuren wandernder Fische durch ihre Süßwasserlebensräume folgt, wird hier gezeigt, dass wandernde Fische konsequent soziotechnische Aktivitäten entlang der Fließgewässer veränderten; sie waren nicht nur passive Objekte der wissenschaftlich-technischen Kontrolle der Natur, sondern nahmen aktiv an der Konstituierung räumlicher Flussdynamik teil. In diesem Sinne erweitert der Vortrag das Spektrum der üblichen Umweltaspekte (z.B. Hochwasser, Ankereis, Sedimente) um die Rolle nicht-menschlicher Wesen, die "fließende Räume" ebenso prägten wie Umweltbedingungen und menschliche Eingriffe in die Natur.
Die Aalwanderungen an Rhein und Weser sind ein geeignetes Beispiel, um diese konzeptionellen Überlegungen zu illustrieren. Die Analyse konzentriert sich daher auf die Anfänge des 20. Jahrhunderts, als die Lachsfischerei aufgrund der "Industrialisierung der Flüsse" (Eva Jakobsson) zurückging und der Europäische Aal (Anguilla Anguilla) in den Augen der Rhein- und Weserfischer zum neuen, hochwertigen Produkt wurde. Der Aal war in zweierlei Hinsicht erfolgreich: Erstens war die Art besser in der Lage, sich an die durch die Industrialisierung veränderten Bedingungen anzupassen, und zweitens verlief ihr Lebenszyklus genau umgekehrt wie der von Lachs oder Forelle. Aale brüten in Salzwasser, in den Tiefen des Atlantiks, und treiben dann mit dem Golfstrom zur europäischen Küste, wo sie in Flüssen wie Rhein und Weser acht bis zehn Jahre lang leben, bevor sie zum Laichen und Sterben in ihre ozeanischen Herkunftsgebiete zurückkehren. Somit wurden ihre Laichgründe nicht durch die großen Flusskorrekturen mit ihren negativen Auswirkungen auf die Süßwasserökosysteme gestört.
Während der Aal Tausende von Flusskilometern wandert, verändern sich die Bewegung, der Körper und der Nährwert der langgestreckten Fische erheblich. Dies wiederum beeinflusste die Praktiken des Fischfangs, des Verzehrs und des Schutzes des Aals. Um diese Wechselbeziehungen zwischen Fischwanderung, Zeit und Raum aufzuzeigen, konzentriert sich der Vortrag auf die folgenden drei unterschiedlichen, aber sich überschneidenden Aspekte, die sich in verschiedenen räumlichen Dimensionen abwechseln. Der Bogen spannt sich von der lokalen Ebene der Fischereistellen und Wasserkraftwerke über den Maßstab regionaler Flussabschnitte bis hin zur transnationalen Ebene der Wassereinzugsgebiete.