In den 1860er Jahren bedeutete das Ende des Sklavenhandels nach mehr als drei Jahrhunderten einen Wendepunkt für die wirtschaftliche, politische und soziale Ordnung am unteren Kongo. Ein neuer Exporthandel nahm bereits Gestalt an, der hauptsächlich auf Elfenbein, Palmöl und Kautschuk ausgerichtet war. Doch im Gegensatz zu früher stützten sich die europäischen Unternehmen nun auf ihre eigenen Bootsflotten und Handelsposten, um afrikanische Zwischenhändler und Transportspezialisten zu umgehen. Vom Handelskorridor an der Küste aus bauten sie ein Netz eigener Handelsposten entlang des Unterlaufs des Flusses auf. Das Gebiet, das das Flusssystem mit dem Meer verband, erhielt die Funktion eines Grenzgewässers, durch das die koloniale Globalisierung tief in das Innere West-Zentralafrikas vordringen sollte. Neben der Malariaprophylaxe haben Historiker Flussdampfer als eine Schlüsseltechnologie dieser Grenzkonstellation identifiziert.
Landkarten als mögliche Einflussfaktoren auf die Dynamik am unteren Kongo haben dagegen bisher wenig Beachtung gefunden. In welchen Funktionen und Qualitäten trugen sie zur Etablierung einer neuen Art von Logistik bei, die auf der Verknüpfung von Dampfschiff-, Kanu-, Karawanen- und Eisenbahntransport während der transformativen Jahrzehnte bis zur Konsolidierung des "Kongo-Freistaats" beruhte? Wie spiegelten Karten die Umgestaltung des unteren Kongo wider und modellierten die Verbindungen zwischen Fluss und Meer? Der Vortrag sucht Antworten auf diese Fragen in erster Linie in den Karten selbst und nimmt exemplarisch verschiedene Kartentypen unter die Lupe. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, inwieweit die Karten das Wissen der am unteren Kongo lebenden Bakongo-Bevölkerung verarbeiteten oder dieses Wissen ignorierten und vernachlässigten.