In seinem - leider nur kurzen - Schlussteil fordert Jürgen Renn die Wissenschaft auf, der zunehmenden Kommerzialisierung des Internets nicht tatenlos zuzuschauen. Er fordert einen Umbau der Wissensökonomie, einen Aufbau semantischer Infrastrukturen und stellt die Frage nach den Besitzverhältnissen bei den Netzstrukturen. Dabei lässt er offen, wo und zwischen wem diese Konflikte ausgetragen werden.
In einzelnen Situationen müssen die Interessen der Wissenschaft sicher auch nach außen - also z.B. gegenüber der Wirtschaft oder der Politik - vertreten werden, etwa in der Frage der Netzneutralität oder bei Lizenzstreitigkeiten. In erster Linie sind die angesprochenen Probleme aber doch Interna des Wissenschaftsbetriebs. Renn spricht dies im Zusammenhang mit OpenAccess und seiner Forderung nach einem Umbau der Wissensökonomie an. Wissenschaftliche Institutionen sind froh, keine Abonnements mehr zahlen zu müssen. Das Bewusstsein, dass die zuvor an die Verlage delegierten Tätigkeiten nun intern geleistet werden müssen und Investitionen in Personal und Infrastruktur erfordern, ist meistens geringer ausgeprägt. Analog werden Institutionen zunehmend weniger Softwarelizenzen zahlen, dafür aber mehr Programmierer anstellen.
Natürlich ist es betrüblich, beim Kampf um eine bessere Zukunft von wenig flexiblen Institutionen wie Universitäten abzuhängen. Dennoch, so finde ich, hätte Renn seinen Vortrag weniger besorgt und dafür tatendurstiger beschließen können. Bekanntlich gibt es nichts gutes, außer man tut es. Leider sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Entwicklung leistungsfähiger, offener Infrastrukturen oft seltsam abwesend.
Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit der Abbildung von Forschungsdaten mittels des Ressource Description Frameworks (RDF, http://www.w3.org/TR/rdf11-primer/). Eifrig eingesetzt wird diese Technologie einzig in der Biologie, vereinzelt auch in anderen Naturwissenschaften. In den meisten Wissenschaftsbereichen ist sie aber kaum bis gar nicht bekannt, obwohl es sich hier um eine der vielversprechendsten Technologien zum Aufbau semantischer Infrastrukturen (wie von Renn gefordert) handelt. Wenn es um die technische Umsetzung dieses idealistischen Konzeptes in Software zum Aufbau eines 'Semantic Web' (http://www.w3.org/standards/semanticweb/) geht, fällt die Aufgabe einmal mehr an kommerzielle Anbieter, vor allem weil entsprechende Investitionen von Seiten der Wissenschaft fehlen (dankbare Ausnahme ist dabei das Vitro Framework, http://github.com/vivo-project/Vitro).
Auch bei der Bereitstellung technischer Infrastruktur und im Bereich der 'Client-Server-Asymmetrie' sehe ich wenig Grund zum Verzagen. Kürzlich bin ich auf gleich zwei Softwarelösungen - CKAN (http://ckan.org/) und VIVO (http://vivoweb.org/) - gestoßen, welche den Aufbau von Datennetzwerken ermöglichen, die sich aus autonomen Installationen zusammensetzen. Diese stehen vollkommen unter Kontrolle der teilnehmenden Institutionen (analog zu ähnlichen Lösungen als Alternative zu kommerziellen sozialen Netzwerken, wie z.B. Diaspora, http://diasporafoundation.org/). Auch hier sind die technischen Mittel gegeben. Es ist an der Wissenschaft, in die Entwicklung und Weiterentwicklung sowie in die Installation und Wartung solcher Systeme zu investieren.
Leider beobachte ich in meinem wissenschaftlichen Umfeld ein weitgehendes Desinteresse bis hin zu Abneigung gegenüber elektronischer Datenverarbeitung. Ich habe den Eindruck, dass man sich kommerziellen Anbietern eher an die Brust wirft, als dass diese uns irgendetwas wegnehmen. Stattdessen fehlt ein Bewusstsein für digitale Infrastrukturen und die Realisierung der Tatsache, dass (zumindest grundlegenste) Programmierkenntnisse längst zum Handwerkszeug der meisten Wissenschaflerinnen und Wissenschaftler gehören sollten.
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Einen Vortrag nicht zu halten, nur weil dessen Titel als Frage formuliert ist, deren korrekte Antwort sich erst in der Zukunft erweisen wird, ist ganz im Sinne des um sich greifenden 'Solutionismus' - welcher doch so sehr gescholten wird. Warum nicht einige Gedanken darüber verlieren, wie Wissen gegenwärtig formuliert und ausgetauscht wird, was davon augenblicklich hilfreich ist und was man vielleicht gerne für kommende Generationen aufheben möchte? Oder, wenn das zu spekulativ ist, ein Rückblick darauf, welches Wissen in der Vergangenheit später noch einmal nützlich war? Ich glaube, das hätte sehr interessant werden können, selbst wenn es am Ende keine verwertbare Lösung gibt.
Herr Welzer schildert eine Flucht aus der Klemme zwischen den 'Zumutungen' aus Wirtschaft und Politik auf der einen und der 'Betriebsamkeit' des Wissenschaftsalltags auf der anderen Seite. Seine persönliche Strategie, beiden Monstren zu entkommen, ist der Ausstieg. Interessanter Weise übernimmt er dabei aber auch die Positionen beider Seiten. Seit der Wissenschaftsbetrieb die von Herrn Mittelstrass beschriebenen Wandlungen durchlaufen hat, ist sie Opfer vielfältiger Vereinnahmung aus Wirtschaft und Politik (stehen die sozialen Bewegungen dabei eigentlich wirklich so weit zurück, wie suggeriert wird?). Auf der anderen Seite ist das wissenschaftliche Arbeitsumfeld rigide, intransparent und reformunfähig. Wäre das Wort nicht so böse, man wollte es fast als ineffizient bezeichnen - das I-Wort wurde ja bereits in einer Wortmeldung diskutiert.
Als jemand, der von diesen Dingen auch nichts versteht, lässt mich der Vortrag mit vielen Fragen zurück. Ist die Wissenschaft in Deutschland ein wohlfeiles Opfer, da ihre Organisation schlecht und strukturell schwach ist? Ist sie anfällig für die Übernahme aufgezwungener Probleme, weil ihr die Fähigkeit und das Selbstbewusstsein fehlt, eigene zu entwickeln? Ist sie abhängig von wirtschaftlichen Unternehmen, weil sie ihre technischen Probleme nicht selbst lösen kann? Gibt es eine Abwanderung qualifizierten Personals, weil dieses die Betriebssysteme oder deren Lokaleinstellungen wechseln? In wie weit hängen diese Probleme von der inadäquaten Verwendung leerer Worthülsen aus Wirtschaft und Politik ab?