Vordergründig ist „Penthesilea“ „nur“ eine Liebesgeschichte mit katastrophalem Ausgang, mit einem Blick in die Abgründe erotischen Begehrens. Auch die Frankfurter Inszenierung Michael Thalheimers, ein großartiger Interpret klassischer Dramen, ist diesem Vorurteil – so jedenfalls der Eindruck des Berichterstatters - nicht ganz entgangen. Zu verstehen ist die „Liebesgeschichte“ von Penthesilea und Achill nur vor dem Hintergrund eines Zusammenpralls zweier unterschiedlicher Kulturen: der matriarchalischen Kultur der Amazonenkönigin Penthesilea und der patriarchalischen Kultur des Griechenfürsten Achill. Für beide ist klar und eindeutig: eine Liebesbeziehung kann es nur bei Unterwerfung unter die jeweiligen Normen der eigenen Kultur geben. Achill geht ganz selbstverständlich davon aus, dass die von ihm im Kampf besiegte Penthesilea ihm nach Griechenland folgt, dort zwar als Königin auf den Thron kommt, zugleich aber den Begrenzungen einer patriarchalischen Kultur unterworfen ist. Für Penthesilea ist gleichermaßen klar, dass Achill ihm ins Reich der Amazonen folgt, dort der Zeugung des Nachwuchses dient und - dem Amazonengesetz zufolge – nach einiger Zeit wieder entlassen wird, nicht getötet, wie gelegentlich unterstellt wird. Männer haben keinen Platz im Reich der Amazonen. Es geht um das Problem, wer sich wem unterwirft. Kleist hat dies im 16. Auftritt seines Stückes unmissverständlich klar gemacht:
Achill: Nicht nach Themiscyra folg ich dir, Vielmehr du, nach der blühenden Phtia, mir, Denn dort, wenn meines Volkes Krieg beschlossen, Führ ich dich jauchzend hin, und setze dich, Ich Seliger, auf meiner Väter Thron. Penthesilea: Wie? Was? Kein Wort verstehe ich.
Tertium non datur. Der Dissens zwischen Achill und Penthesilea ist unauflösbar, lediglich suspendiert durch neue kriegerische Auseinandersetzung zwischen Amazonen und Griechen vor den Toren Trojas. Achill unternimmt einen weiteren Versuch, Penthesilea zu gewinnen, indem er sie zu einem Scheinkampf herausfordert, in welchem er, kaum bewaffnet, sich Penthesilea – zumindest äußerlich - unterwerfen will beziehungsweise muss: Für Achill lediglich eine „Grille“ Penthesileas, die sie jedoch für „heilig“ erachtet. Penthesilea, die davon ausgeht, dass Achill sie erneut im Kampf demütigen will, ist in ihrer Liebe zu Achill gleichsam zu Tode gekränkt, verkennt die Geste Achills und tötet ihn mit einem Pfeil in den Hals.