Die "Wiener Verzweigung" der Donau - schon Ende des 17. Jahrhunderts "Kanal" genannt - und ihre Ufer haben in den letzten Jahrzehnten eine steile Karriere gemacht: Von einem als gefährlich und hässlich empfundenen Angstraum, der vor allem als Müllabladeplatz und als Rückzugsgebiet für renitente Jugendliche und Obdachlose diente, hat er sich zu einem beliebten Freizeitgebiet entwickelt, dessen konsumfreie Zonen derzeit durch investorengetriebene Expansionsgelüste von Flächen für stylische Restaurants und Bars gefährdet sind. Während des Pandemie-Frühlings 2021 war die Nutzung dieser innenstadtnahen Uferzone so stark, dass sie zeitweise von der Polizei abgesperrt und geräumt wurde; für kurze Zeit herrschte Maskenpflicht.
Herr Tantners Beitrag deckt einen breiten Zeitraum von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart ab. Der erste Teil befasst sich mit den Konflikten um die Nutzung der Ufer und das wilde Baden: Der Donaukanal ist bereits in der Frühen Neuzeit als Badestelle belegt, obwohl das freie Baden immer wieder verboten wurde; es wurde meist nackt praktiziert und galt als gefährlich und unschicklich. Regelmäßige Bäder, deren Wannen mit Donauwasser gefüllt waren, gab es bereits im 18. Jahrhundert, legale Freibäder wurden erst später in weiter entfernten Donauabschnitten eröffnet, als der Donaukanal durch die große Menge an Abwasser zunehmend zu einer schlammigen Kloake verkommen war. Um 1900 wurden entlang des Donaukanals Kanäle gebaut, die die Wasserqualität wieder verbesserten, und es wurden Badeschiffe und -plätze in der Nähe des Stadtzentrums eröffnet. Organisierte Schwimmwettbewerbe zogen in den 1920er Jahren eine große Zahl von Interessierten an, und während der Weltwirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit wurden vor allem die Uferbereiche entlang der proletarisch geprägten Stadtteile als "Riviera" oder "Lido der Arbeitslosen" bezeichnet. Auf ein Ereignis an einem Augustabend 1957 geht der Vortrag besonders ein: Damals tanzten fünfzig bis siebzig Jugendliche (von der Boulevardpresse "Halbstarke" genannt) unter der Augartenbrücke Rock'n'Roll, was prompt zu einem Polizeieinsatz führte, bei dem fünf Burschen und zwei Mädchen verhaftet und zum Teil zu mehrtägigem Polizeigewahrsam verurteilt wurden.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Bedeutung des Donaukanals als Ankunftszone für Schiffe: Jahrhundertelang gab es in Wien kein klar abgegrenztes Hafengebiet; das gesamte Ufer wurde zum Anlegen von Frachtschiffen und zum Entladen von Holz, Steinblöcken, Salz, Gemüse, Obst und Schlachtvieh genutzt. Die so genannte "Schanzel", ein Areal in der Nähe des Rotenturmtors, diente in erster Linie als Anlegestelle für jene Schiffe, die Reisende transportierten; hier wurden ausländische Schiffspassagiere aus den deutschen Gebieten, die schon bei der Einreise in die Habsburgermonarchie in Engelhartszell zum Teil langwierige Kontrollen ihres Gepäcks über sich ergehen lassen mussten, bei der so genannten "Wassermaut" direkt an der Stadtmauer noch einmal belustigt - die Klagen darüber sind ein fixer Bestandteil von Reiseberichten. Einer, der diese Hürde relativ unbehelligt überwinden konnte, war übrigens kein Geringerer als der junge Mozart: Zum ersten Mal mit seinem Vater über die Donau in Wien angekommen, betörte das Geigenspiel des Sechsjährigen den Mautbeamten so sehr, dass die Neuankömmlinge keine weiteren Kontrollen über sich ergehen lassen mussten und auch das mitgebrachte Klavier problemlos in die Stadt transportiert werden konnte.
Darüber hinaus sind die Kontrollen, die am genannten Ort der Einreise in die Stadt stattfanden, in den Kontext all jener Kontrollen zu stellen, die an den Grenzen Wiens ausgeübt wurden; Tantners Ausführungen dienen der Vorbereitung seines aktuellen Forschungsprojekts, das die "verlorene kulturelle Praxis" des "Stadteingangs" (Daniel Jütte) am Beispiel Wiens näher untersuchen soll.
Die Tagung
Haus der Universität Düsseldorf, Deutschland
Tagungsleitung
Dr. Gero Faßbeck
Kamera und Ton
Tim Nyenhuis
Schnitt und Animation
Tim Nyenhuis
Gesamtkonzeption
Forschungsverbund „Fluide Räume“ der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf