Der 17. Jahrgang dieser Zeitschrift markiert auf den ersten Blick keinerlei Jubiläum. Trotzdem ist die vorliegende Ausgabe (Heft 3/2020) für Herausgeber und Redaktion eine besondere: Es handelt sich um das 50. Heft insgesamt. (2007 gab es ein Doppelheft, sonst immer drei Hefte pro Jahrgang.) Dies ist der Anlass für einen knappen Rückblick auf die anfänglichen Ziele und die bisherigen Entwicklungen, aber auch für einen (selbst-)kritischen Ausblick (siehe hier). Den Dank an alle Beteiligten der bisherigen Hefte verbinden wir mit der Vorfreude auf die künftigen Ausgaben! Beitragsideen und Manuskripte können jederzeit an die Redaktion geschickt werden (nähere Hinweise gibt es hier). In einer anderen Zeitschrift, dem „Merkur“, hieß es im Editorial zum März-Heft sehr treffend: „Das wichtigste Heft ist immer das nächste, egal wie viele ihm vorausgegangen sein mögen.“
Jetzt aber ein Blick in die aktuelle Ausgabe der „Zeithistorischen Forschungen“, ein „offenes“ Heft mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Besonders hinweisen möchten wir auf den Essay „Postkoloniale Zeitgeschichte?“ von Andreas Eckert (Humboldt-Universität zu Berlin). Ausgehend von der Debatte um Achille Mbembe, die für Eckert „eine mitunter schmerzhafte Provinzialität“ erkennen ließ, plädiert er dafür, „den Dialog mit der postkolonialen Theorie zu suchen, sich mit ihr auseinanderzusetzen, sie ernstzunehmen oder ihr wenigstens einmal zuzuhören, so wie es in benachbarten Disziplinen bereits geschehen ist“. Hierbei hat die deutsche Zeitgeschichtsforschung wohl Nachholbedarf, aber die Diskussion ist mittlerweile erkennbar in Fahrt gekommen, etwa im Hinblick auf die Geschichte des Rassismus. Eckert regt dazu an, mit Hilfe postkolonialer Ansätze nicht nur neue Themenfelder oder Regionen zu untersuchen, sondern die Perspektiven anders zu justieren: „Die Wahrnehmung und Einordnung dieser Studien, ihrer methodischen und theoretischen Angebote ebenso wie ihrer thematischen Schwerpunkte als ‚Zeitgeschichte‘ könnten neue Horizonte eröffnen und den eigenen Blickwinkel darauf, was denn eigentlich ‚Zeitgeschichte‘ ausmacht, zu entprovinzialisieren helfen.“
Anknüpfungspunkte zu derartigen Perspektiven ergeben sich in einigen anderen Beiträgen des Hefts, etwa in einem Aufsatz von Benjamin Möckel (Universität zu Köln) über „Dritte-Welt-Läden“ in der Bundesrepublik Deutschland und in Großbritannien. In der Rubrik „Quellen“ schreiben Immanuel R. Harisch und Eric Burton (Universität Wien bzw. Universität Innsbruck) über kollektive Tagebücher von „Freundschaftsbrigaden“ der FDJ, die zum Beispiel in Kuba und Angola im Einsatz waren. So wird deutlich, wie sich die Geschichte der DDR mit ihrem dezidiert „antiimperialistischen“ Selbstverständnis als Teil einer postkolonialen Konstellation sehen und interpretieren lässt.
Der Blick der Zeitgeschichtsforschung richtet sich inzwischen auch verstärkt auf die 1990er-Jahre: In der Rubrik „Neu gelesen“ bietet Cora Schmidt-Ott (Universität Tübingen) eine kritische Einordnung von Samuel P. Huntingtons einflussreichem Buch „The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order“, dessen Erstauflage vor 25 Jahren erschienen ist. Die Autorin betont, „dass das Buch verschiedene Problemkomplexe enthielt, die die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Gegenwart in den 1990er-Jahren bestimmten: erstens und am offensichtlichsten den Versuch, die globale Ordnung nach dem Kalten Krieg zu erfassen, zweitens das Nachdenken über ‚Entwicklung‘ und ‚Modernisierung‘ sowie drittens Krisenwahrnehmungen in Bezug auf die US-amerikanische Gesellschaft“. Gerade der letztgenannte Punkt, das Streben nach einer möglichst homogenen „Identität“, erweist sich auch im Hinblick auf die aktuellen Polarisierungen in den USA als aufschlussreich.
Nicht alle Beiträge können hier vorgestellt werden – was sie in diesem „offenen“ Heft erneut verbindet, ist das Interesse an einer Zeitgeschichte als Wissenschaft, die quellenbasiert, methodisch reflektiert und anschaulich Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart erhellen möchte. Die „Zeithistorischen Forschungen“ werden am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam herausgegeben von Frank Bösch, Konrad H. Jarausch und Martin Sabrow. Die Zeitschrift erscheint gedruckt im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht und zugleich online.