Fast auf den Tag genau vor einem Jahr haben wir in unserer Videoreihe Zu Gast bei L.I.S.A. ein Gespräch mit dem Philosophen Prof. Dr. Peter Trawny zur damals gerade ausgebrochenen Coronakrise und...
Fast auf den Tag genau vor einem Jahr haben wir in unserer Videoreihe Zu Gast bei L.I.S.A. ein Gespräch mit dem Philosophen Prof. Dr. Peter Trawny zur damals gerade ausgebrochenen Coronakrise und den ersten Eingriffen der Exekutive in das gesellschaftliche Leben veröffentlicht. Hannah Arendts philosophische Figur des Denkens ohne Geländer war nicht nur Titel sondern auch Motto des Videogesprächs, das sich an den vier klassischen Grundfragen Immanuel Kants orientierte: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was ist der Mensch? Was darf ich hoffen? Letztere möchten wir kurz vor Ostern zum Anlass nehmen, um über das Hoffen und über die Hoffnung in schwierigen Zeiten einige wenige Gedanken und Worte zu verlieren - hoffentlich ohne dabei gleich pastoral zu klingen. Es ist nur ein Versuch...
Im oben erwähnten Gespräch mit Peter Trawny konnte eine Antwort auf die Frage, was man als Mensch gegenwärtig hoffen dürfe, nicht gefunden werden. Einige hoffen möglicherweise, dass bald alles wieder so sein möge, wie es einst war. Andere hegen stattdessen vielleicht die Hoffnung, dass sich alles ändern wird, zu einem besseren hin. Es ist bemerkenswert, dass solche Fragen und Ausblicke in die Zukunft derzeit wenig Raum in der öffentlichen Debatte finden. Zu düster und deprimierend sind die Prognosen für die nächsten Tage und Wochen. Und das zu Ostern, dessen Botschaft eine durchweg hoffnungsvolle ist - sei es im christlichen Sinne oder naturphilosophisch verstanden als der Wiederbeginn des Lebens nach einem langen Winter. Der Schweizer Theologe Karl Barth (1886-1968) verkündete in diesem Zusammenhang: "Wer die Osterbotschaft gehört hat, der kann nicht mehr mit tragischem Gesicht herumlaufen und die humorlose Existenz eines Menschen führen, der keine Hoffnung hat."
Das mag in Zeiten einer Pandemie irreführend klingen. Werden doch gerade jetzt Ernsthaftigkeit und das Walten höchster Vorsicht eingefordert. Aber darf man dann nichts hoffen? Ist Hoffnung gerade jetzt eher ein schlechter Ratgeber? Müssen wir der Angst den Vortritt lassen, um uns und andere zu schützen? Die Verwirrung kann angesichts solcher Fragen nur groß sein. Der Philosoph Ernst Bloch hat sich in seinem Werk Das Prinzip Hoffnung dazu wie folgt geäußert: "Viele fühlen sich nur als verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht." Und weiter heißt es: "Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern." Hier würde der frühere tschechische Ministerpräsident Vaclav Havel vielleicht Einspruch erheben: "Hoffnung ist nicht Optimismus, sie ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht." Hoffnung wäre demnach an Sinn gebunden, woran auch der Protestant Kant seine Frage, was denn der Menschen hoffen dürfe, knüpfte: geschichtsphilosophisch nach außen gerichtet, religionsphilosophisch nach innen - die Hoffnung auf ein gutes Leben diesseits, auf ein ewiges jenseits. Wie sehr beide Sphären das menschliche Denken seit jeher beschäftigen, davon legen die Holzschnittdrucke Albrecht Dürers vor rund 500 Jahren ein beredtes Zeugnis ab - einen bild- und erkenntnisreichen Beitrag dazu finden Sie bitte in unserer Übersicht.
Für das Gelingen des diesseitigen Lebens, das ja vor dem Heilsversprechen auch erst einmal gelebt werden will, sind in unserer modernen szientistischen Welt nicht so sehr Philosophen und Theologen zuständig, sondern vielmehr Mediziner in einem umfassenden Verständnis. Ihr Tun ist immer mit Hoffnung verbunden, die manchmal aber auch eine falsche sein kann, wie der Medizinethiker Giovanni Maio bemerkt: "Die Medizin interpretiert Hoffnung einseitig. Dadurch schielen Patienten verbissen auf die Heilung. Sie müssten eher von den Ärzten dazu angeleitet werden, auch dort, wo die Heilung nicht eintritt, die Gestaltbarkeit der Zukunft zu erkennen und sich gerade nicht ausgeliefert zu fühlen." Und daran anschließend: "Der hoffende Mensch ist das Gegenteil des blauäugigen Menschen. Zuversicht heißt: die Realität klar erkennen und dennoch die Offenheit der Zukunft als gegenwartsgestaltend anerkennen. Der hoffende Mensch ist kein Optimist, der einfach das Scheitern-Können ausblendet. Er lebt im Bewusstsein seines Bedrohtseins. Der Optimist blendet das Bedrohliche der Zukunft aus. Und der Realist ist eher ein Pessimist, der ungeduldig ist und lieber gleich aufgibt, als sich nach der Zukunft auszulangen."
Wir hoffen, mit diesen Gedanken unsere Kompetenzen nicht überschritten zu haben. Uns ging es lediglich darum, das Prinzip Hoffnung in Erinnerung zu rufen. Hoffen zu dürfen, macht die Lebendigkeit des Menschen aus. Das Denken wiederum verhält sich komplementär dazu - vor allem ein freies Denken, ein Denken ohne Geländer. Hannah Arendt hielt 1968 in ihrem Buch Menschen in finsteren Zeiten fest: "Man könnte wohl sagen, dass die lebendige Menschlichkeit eines Menschen in dem Maße abnimmt, in dem er auf das Denken verzichtet."
Wir wünschen Ihnen ein Osterfest, das Anlass zur Hoffnung gibt und verbleiben mit herzlichen Grüßen aus der Malkastenstraße als
Ihre L.I.S.A.Redaktion
Bildnachweise:
- Von Jaroslav Krejčí - Jaroslav Krejčí heirs, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=66118093
- Von Bundesarchiv, Bild 194-1283-23A / Lachmann, Hans / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=51061479
- Von Bundesarchiv, Bild 183-35545-0009 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5351974