Die Ru 儒, wie sich die Konfuzianer seit alters selber zu nennen pflegen, gelten von jeher als wichtige Akteure in der chinesischen Kultur-, Bewusstseins- und Politikgeschichte. Konfuzianische Einflüsse spielten zudem in der kulturgeschichtlichen Entwicklung Japans, Koreas und Vietnams eine bedeutende Rolle. Der Kern des Konfuzianismus ist pädagogisch und auf inneres Gleichgewicht der Gesellschaft angelegt. Im Sinne einer ganzheitlichen Menschenbildung, beispielsweise im Sinne der sogenannten Sechs Künste sowie einem früh einsetzenden Lernen der konfuzianischen Klassiker, hat die Strömung viele verschiedene Schulen und Ansichten hervorgebracht. Im Laufe der Geschichte integrierte sie Anregungen u.a. aus dem Daoismus, dem Buddhismus und seit dem 20. Jahrhundert auch westlicher Philosophien.
Anhand verschiedener Interviews, die in Beijing, Guiyang (Provinz Guizhou) sowie Qufu (Geburtsort Konfuzius' in der Provinz Shandong) geführt wurden, ergibt sich in puncto Konfuzianismus heute folgendes Bild: Die Strömung ist seit jeher lebendig als Tradition der Familie Kong (die Großfamilie, der Konfuzius entstammt). Seit einigen Jahren werden Konfuzianismus und chinesische Traditionen im Sinne kultureller und ästhetischer Bildung in der VR China wieder gefördert. Im Weiteren gehen junge, international aufgestellte akademische Zirkel produktiv und innovativ in interdisziplinären Kontexten mit diesem kulturellen Erbe zu Werke. An führenden Universitäten werden chinesischen Kulturtraditionen wie der Konfuzianismus an die globalen Realitäten des 21. Jahrhunderts herangeführt.