Der erste Tag des Workshops startete mit einer Keynote von Melanie Unseld (mdw Wien), in der Grundfragen an das Speichern musikalischen Wissens dargelegt wurden. Ausgehen von dem Ölbild „Der Philosoph“ von Giuseppe Antonio Petrini (um 1750) fragte Unseld, wie sich kanonisches Wissen zu flüchtigem Wissen verhält, welche Spezifika musikalischem Wissen zu eigen sind und warum es überhaupt so schwierig ist, Wissen zu speichern und abrufbar zu machen. Diese Leitfragen sollten sich als Wegweiser für den gesamten Workshop erweisen. Melanie Unseld beschrieb die Materialität von Wissen als eine wesentliche Konstante in der Frage danach, wie Wissen überhaupt überzeitlich verständlich sein kann: Es erfordere eine materielle Transformation, z. B. in Schriftstücke, in Instrumente oder auch in Räume der Musikaufführung.
Im ersten Panel „Wissensspeicher ‚Raum‘“ betrachteten Gesa zur Nieden (Universität zu Köln) und Uwe Walter (Tonmeister, Köln) Räume musikalischen Wissens, die als praktische, architektonische oder transformierte Räume begriffen wurden. Beide Vortragenden betonten die Rolle einer Partitur als ‚Diskussionsgrundlage‘, anhand derer ‚Diskussionsbeiträge‘ erstellt werden können. Solch ein Beitrag kann eine Inszenierung in einem Theaterraum, aber auch eine Aufnahme auf CD sein. Beiden ‚Räumen‘ ist zu eigen, dass sie musikalisches Wissen produzieren, dabei jedoch keinen Anspruch auf ‚Wahrheit‘ haben, sondern vielmehr eine Momentaufnahme bzw. einen bestimmten Zugriff auf eine Partitur dokumentieren und anbieten.
Das zweite Panel „Wissensspeicher ‚Konzertpraxis‘“ nahm die Akteurinnen und Akteure der Konzertpraxis in den Blick. Christiane Tewinkel (UdK Berlin) stellte dabei anhand ihrer Forschung zu Programmheften vor, dass die ehemals als essentiell angesehene Kontextualisierung von Musik aktuell nicht mehr im Vordergrund eines Konzertbesuchs stehe. Dass die Stellung des kanonisierten Wissens in der Konzertpraxis zurückgehe, konstatierte auch Thomas Jung (Dirigent, Köln). Dirigentinnen und Dirigenten würden sich daher verstärkt in einer vermittelnden Rolle wiederfinden und müssten die musikalischen Ideen durch verbale und nonverbale Kommunikation weitergeben: „The power of a conductor is to make the musicians powerful.“
Der Frage der Darstellbarkeit musikalischen Wissens widmete sich das dritte Panel „Wissensspeicher ‚Klang und Notation‘“. Martin Brenne (Komponist, Köln) stellte besonders die Unabgeschlossenheit und Brüchigkeit im Notationsprozess heraus: Letztendlich befinde sich die Musik in einem beständigen Aktualisierungs- und Vermittlungsprozess zwischen musikalischem Wissen, kompositorischen Ideen und Interpretation. Anna Langenbruch (Universität Oldenburg) verhandelte die Geschichte des Musiktheaters als gesungene Geschichte des musikhistorischen Wissens: Der Raum als Speichermedium funktioniere dabei nicht wie eine exakte Kopie, sondern vielmehr wie ein Container, der unterschiedlich gefüllt werden könne.
Einen Blick in die gemeinsame Geschichte von Musik und Medizin tat das vierte Panel „Wissensspeicher ‚Medizin‘“. James Kennaway (Universität Groningen) stellte anhand von Analogieschlüssen zwischen Saiten und Nerven dar, welch vielfältigen Zusammenhänge zwischen der Musik und dem Körper seit dem Mittelalter angenommen wurden. Mit Blick auf die neuere medizinische Forschung zu musikwissenschaftlichen Fragestellungen plädierte er darüber hinaus für eine ‚Critical Neuroscience of Music‘, die mehr leistet, als Auswirkungen von Musik auf den Menschen zu messen. Marie Louise Herzfeld-Schild (Universität zu Köln) fokussierte ihren nachfolgenden Vortrag auf das Konzept der ‚Nervenstimmung‘ im 18. Jahrhundert, das von der Temperierung der Instrumente ausging und in dem medizinisches, musiktheoretisches und ästhetisches Wissen gleichermaßen aufgerufen, verhandelt, aktualisiert und weitergetragen wurde.