„Eres un fantoche, pero en las manos de lo infinito, que tal vez son tus manos.“ Antonio Porchias’ Aphorismus lässt uns den goldenen Faden der Faszination assoziieren, der die uralte Kunst des Marionettentheaters und des Puppenspiels im Allgemeinen seit unzähligen Generationen mit Leben durchzieht. Seit den Zeiten des alten Ägypten durchzieht die verzaubernde Kunst der beseelenden Bewegung die eurasische Kulturgeschichte. Neurospasmata, „Hampelmänner“, die berühmten Fernsehfolgen der Augsburger Puppenkiste: Wer dächte nicht an die Faszination, mit der dieses Schauspiel uns in kindlicher Begeisterung noch zu fesseln vermochte, und wie wir es spätestens dann wiedererleben, wenn uns unsere Kinder im Spiegel ihrer Begeisterung die tiefe „begeistende“ Dimension dieser Kunst reflektierter erahnen lassen?
Spiritus ex pupulis. Traditionelle Puppenspielkunst aus Quanzhou
In Ko-Autorenschaft Bei Peng und David Bartosch
Bei Peng und David Bartosch
Vor kurzem hatten die Autoren die ganz besondere Gelegenheit, einer solchen, wirklich außergewöhnlichen, Aufführung dieser alten Kunst beizuwohnen. Im Tianqiao-Kunstzentrum im Herzen Beijings, ganz in der Nähe der Verbotenen Stadt, gab eine jüngere Riege der traditionellen Marionettenmeister Quanzhous eine Aufführung des bekannten Stückes „Brennender Berg“. Diese Puppenspielertruppe – offiziell: Zentrum für das Erbe und den Schutz der Puppenspielkunst der Stadt Quanzhou (Provinz Fujian) – ist ohne Frage eines der weltbesten Puppentheater der Welt.
Das aufgeführte Stück basiert auf einem Kapitel des berühmten mingzeitlichen Romans „Reise in den Westen“ (Xiyouji): Der buddhistische Meister Tang Seng, eine Art Allegorie auf den berühmten chinesischen Mönch Xuanzang (gest. 664), der mit seiner Reise nach Indien und wieder zurück zur Verbreitung des Buddhismus in China beigetragen hat, die mythologische Figur des Affenkönigs Sun Wukong sowie Zhu Bajie (mit dickem Bauch und Schweinegesicht) und Sha Wujing, zwei karmisch bestrafte, ehemalige himmlische Würdenträger, sind auf der Reise nach Westen, um die Schriftrollen des Buddha nach China zu bringen. Unterwegs werden sie durch einen brennenden Berg an der Weiterreise gehindert. Sun Wukong plant den magischen Fächer einer Göttin namens Prinzessin Eisenfächer zu borgen, um die Flammen zu löschen. Die Geschichte handelt davon, wie Sun Wukong mit der widerspenstigen Göttin, die ihm ihr magisches Werkzeug nicht ausborgen möchte, strategisch und auch mit allen Mitteln überirdischer Kampfkunst um den Fächer ringt und schließlich auch das angestrebte Ziel erreicht: Die vier Weggefährten, die in China jedes Kind kennt, kommen schließlich voran auf ihrem Weg nach Indien.
Die Show bot für uns einen faszinierenden Einblick in die mehr als zweitausendjährige Kunst des chinesischen Puppenspiels, welche insbesondere in Quanzhou, dem Sitz der gastierenden Truppe, seit der späten Tangdynastie und den Fünf Dynastien zu einer hochstehenden, wirklich komplexen Kunstform weiterentwickelt wurde. Quanzhou ist ein echtes Zentrum für traditionelle chinesische Kultur. Die Stadt soll auch von Marco Polo und Ibn Battuta besucht worden sein. Die Puppenspieltruppe aus Quanzhou pflegt das Erbe von 700 überlieferten Puppentheaterstücken und 300 Stücken einer zugehörigen traditionellen Theatermusik. Die Puppenschnitzkunst und die Herstellungsverfahren der Marionetten sind einzigartig. Wenn normalerweise der Unterschied zwischen Marionetten und menschlichen Schauspielern darin bestimmt wird, das erstere ausschließlich mit Hilfe Schwerkraft von außen bewegt werden, so bedeuten die Quanzhouer Puppen auch in dieser Hinsicht eine gewisse Ausnahme. Mittels einer traditionellen Technologie kann Sun Wukong seine Hand öffnen und schließen. Der Mechanismus ermöglicht es sogar, dass die Puppe den berühmten magischen Kampfstock Jingubang aufnehmen und auch wieder weglegen kann. Auch Mundbewegungen sowie andere Körperbewegungen werden zusätzlich zu den Bewegungen, die durch das Ziehen einer verwirrenden Vielzahl von Fäden vollführt werden, durch mechanisch bewegliche Teile der Figuren realisiert. Die Puppentruppe aus Quanzhou ist bei der UNESCO als immaterielles Kulturerbe Chinas gelistet und hat seit ihrer Gründung vor mehr als sechzig Jahren unzählige traditionelle Stücke in über siebzig Ländern und Regionen weltweit aufgeführt. Am beeindruckendsten war für uns der Blick hinter die Bühne: Wir hatten die Möglichkeit, die Puppenspieler direkt bei der Arbeit zu beobachten, die von einer Art Brücke in etwa vier Metern Höhe über der Bühne mit unglaublicher Präzision und Feinheit vollbracht wird. Einzigartig dürften einige Fertigkeiten und Tricks der Quanzhouer im Marionettenspiel sein. Uns wurde berichtet, dass es mehr als zwanzig Jahre dauert, um diese Künste perfekt zu meistern. Neben Marionetten verschiedenster Größen kommen in einigen Fällen auch Handpuppen auf außergewöhnliche Weise zum Einsatz. In Quanzhou arbeitet man im Ganzen generationenübergreifend und die jüngeren Mitglieder der Truppe lernen ständig von ihren älteren Meistern dazu.