Ausblick: Aber was dann? – Eine positive Alternative zum negierten Konzept von Inter-Aktion: Wie oben ausgeführt, impliziert die Suche nach dem Aktions-Modus des Zusammenwirkens von Beischrift und Bild das Ergründen von deren intrinsischem Funktionieren. Nicht die (nach außen, auf Rezeption ausgerichtete) Funktion, sondern die (inneren) Funktionsmechanismen der Syn-Aktion von Bild und Beischrift stehen im Fokus. Hierfür bietet sich eine Annäherung in zwei Schritten an:
Erstens über die gleichsam äußere Schicht, die unmittelbare Evidenz, das bei genauerem Hinsehen ohne größere Mühe Wahrnehmbare im Hinblick auf das Funktionieren von Beischriften. Die Fragen lauten: ‚Was?‘ für ein Funktionieren liegt vor? Was passiert mit dem Bild durch die Beischrift? ‚Was wäre, wenn eine bestimmte Darstellung keine Beischrift hätte?‘, mag hierfür eine hilfreiche Leitfrage sein. Grundsätzlich fällt dabei zweierlei auf:
Zum einen, dass die Darstellungen in zwei Hauptgruppen zerfallen, namentlich beschriftete Bilder, die rein ikonographisch nicht selbsterklärend, anders ausgedrückt ‚beischriftenbedürftig‘ erscheinen, sowie solche, die rein ikonographisch prinzipiell selbsterklärend sind.
Zum anderen zeigt sich eine beachtliche Vielfalt und Differenziertheit dieses Funktionierens: sei es
- als ikonographische Substitute oder Surrogate,
- als Distinktionsmittel angesichts von Massierungen gleichartiger Motive,
- in der Individualisierung topisch komponierter Handlungsszenen,
- im Verleihen von Eindeutigkeit bei ansonsten mehrdeutigen bzw. nicht eindeutig deutbaren Handlungssituationen,
und dies zudem
- in Verbindung mit andererseits darüber hinausgehenden, scheinbar ‚zweckentkoppelten‘ Eigendynamiken (beispielsweise in Gestalt einer Beischrift „res“ zur Bezeichnung eines, an sich spezifischen, Gegenstandes)
oder
- als wahlweise affirmierende, modifizierende oder schlicht identifizierende Bildbestandteile.
Besonders signifikant ist in diesen Fällen, dass ausgesprochen häufig gerade auch solche Motive oder Szenen, die (uns) als ikonographisch potentiell selbsterklärend und damit ‚unproblematisch‘ erscheinen, mit Beischriften versehen sind. Genau diese ohne weiteres von außen ablesbaren Mechanismen des Funktionierens von Bild und Beischrift legen jedenfalls schon sehr deutlich nahe, dass die Funktion von Beischriften maßgeblich über den reinen Zweck des Identifizierens des bildlichen Ausdrucks hinausgehen bzw. auf einer anderen Ebene anzusiedeln sein muss. Der Sinn von Beischriften erfüllt sich somit nicht im ‚Didaskalischen‘ / Lehrhaften, wie es etwa der italienische Terminus von Beischriften (iscrizione didascalica) suggeriert, und auch nicht im per Bildunterschrift Beschreibenden, wie dies im Französischen (légende) zum Ausdruck kommt.
Zweitens über die gleichsam innere Schicht, d. h. die intrinsischen Funktionsmechanismen, das ‚Wie?‘ der Synaktion von Beischrift und Bild. Wie erfolgt dieses Funktionieren genau, und wie ist es zu beschreiben?
Ein taugliches Messkriterium für das Erfassen der Existenz und, nachgelagert, der Effizienz von synaktivem Potential ist die bei genauerer Analyse nachvollziehbare Intensitätsstärke im intrinsischen Spannungsfeld zwischen Bild und Beischrift. Messbar ist sie anhand des qualitativen und des quantitativen Synaktionsgrades. So ist etwa das synaktive Potential qualitativ am stärksten bei Vorliegen einer kompositorisch engen Verzahnung – und zwar dies zunächst ganz unabhängig davon, ob eine Beischrift für das inhaltliche Verständnis des Bildes (aus unserer Perspektive) ‚relevant‘ ist oder nicht (was besonders auch für die sog. nonsense-Beischriften bedeutsam ist); demnach synagieren umgekehrt etwa Beischriften auf Bildrändern weitaus weniger stark mit den zugehörigen Bildern, auch wenn der Text inhaltlich insofern höchst ‚relevant‘ erscheint, als er die dargestellten Protagonisten benennt. Andererseits wiederum kann qualitative Schwäche, eben aufgrund wenig ausgeprägter kompositorischer Verzahnung, kompensiert sein durch eine quantitativ und optisch starke Präsenz.
Was sich bei systematischer Anwendung dieser Messmethode zeigt, ist jedenfalls ein mit fortschreitender Zeit deutliches Nachlassen an Intensität. Da dieser Rückgang jedoch keineswegs zu einem Aufhören des Phänomens Beischriften als solchem führte, kann dies nur bedeuten, dass nicht nur der reinen Existenz von Beischriften, sondern mutmaßlich auch deren Funktionen Motivatoren zugrunde lagen, die dann allerdings außerhalb der Kategorien von Syn-Aktion im Besonderen, geschweige denn von Inter-Aktion im Allgemeinen zu suchen wären.
Anders ausgedrückt: Es findet sehr wohl und auf mehreren Ebenen – der inhaltlichen und kompositorischen – Synaktion statt; aber diese scheint (weitgehend) nur die innerexistentielle bzw. intrinsische Conditio sine qua non zu sein, nicht jedoch der Urgrund für das Phänomen der Existenz von Beischriften als solcher sowie insbesondere ihrer langen (nachantiken) Persistenz. Beischriften der Antike erweisen sich somit (auch) als Faktoren eines ‚Habit‘, der sich offenbar nicht ausschließlich in synaktiven Dynamiken erschöpfte. Dass diesem ‚Habit‘ hierbei ein funktionaler Charakter eignete, die – vorliegend zunächst bewusst ausgeklammerte – Funktion von Beischriften sich also nicht unwesentlich in der Visualisierung eines eigentlich intendierten, offenbar epochenübergreifenden ‚labelling habit‘ erfüllte, ist eine nunmehr denkbare, wenn auch in ihrer Gültigkeit noch eigens zu verifizierende Hypothese.
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