Gregorovius hatte ein besonderes Interesse an religiösen Fragen - vor allem an grundsätzlichen Fragen. Aufgewachsen im protestantischen Ostpreußen studierte er anfangs Theologie, ehe er sich kurz darauf der Philosophie zuwandt. Eine Berufslaufbahn in einer Pfarrstelle war spätestens seitdem keine Option mehr. Gleichwohl hielt Gregorovius an seinem Interesse an der Religion fest. Seinem professionellen Selbstverständnis als Historiker entsprechend, näherte er sich seinen Fragen aus der Perspektive und der Erfahrung des Fremden. So überrascht es wenig, dass sich der Protestant Gregorovius außer mit dem Judentum auch mit dem Katholizismus beschäftigte. Der Vortrag des Historikers und Direktors des Deutschen Historischen Instituts Rom, Prof. Dr. Martin Baumeister, handelt davon.
Die Tagung
Von der Korrespondenz von Gregorovius haben sich mehr als 3200 Briefe erhalten, denen neben seinem historiographischen und schriftstellerischen Œuvre eine außerordentliche wissenschaftsund kulturgeschichtliche Bedeutung zukommt. Das seit November 2017 von der DFG und der Gerda Henkel Stiftung finanzierte Projekt "Ferdinand Gregorovius. Poesie und Wissenschaft. Gesammelte deutsche und italienische Briefe" des DHI in Rom legt in Kooperation mit der TELOTA der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften erstmals eine umfassend kommentierte Auswahl seiner Briefe in digitaler Edition in den jeweiligen Originalsprachen vor. Im Oktober 2020 wurde die Finanzierung verlängert, so dass die ursprünglich ins Auge gefasste Edition von 700 Briefen nunmehr auf etwa 1000 Briefe erweitert werden kann. Auf der Tagung werden Grundfragen aktueller Forschung diskutiert, die sich bei Gregorovius etwa im Kontext der Wissenschafts- und Historiographiegeschichte, der Buch- und Journalismusgeschichte, der Geschichte der deutsch-italienischen Beziehungen und angesichts des Potenzials der digitalen Edition stellen. Seine größtenteils unbekannten Briefe erlauben einen vollkommen neuen Blick auf den Grandseigneur der Mediävistik und Erfolgsautor. Seine Korrespondenz erzählt von seinem Leben im Rom, von der Entstehung seiner "Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter" und seiner anderen Werke und zeigen Gregorovius im Zentrum eines internationalen Gelehrtennetzwerks, dessen Expertise in Fachkreisen und von Verlagen geschätzt wird. In den Briefen lässt sich sein Selbstverständnis als Gelehrter, Philologe, Schriftsteller sowie als Geschichtsschreiber über vierzig Jahre hinweg verfolgen, aber auch das Verhältnis von Zunft- und Privatgelehrtentum und die Interferenzen von wissenschaftlicher Forschung und Zeitzeugenschaft. Im letzten Drittel seines Lebens war Gregorovius ein hoch geschätztes Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler Akademien und erhielt eine erstaunliche Zahl an Briefen von Bewunderern.