"Maler, male", mit diesen Worten versuchte Emil Nolde (eigentlich Emil Hansen) sich anzufeuern, wenn er an seiner Kunst zweifelte, seine Bilder zerkratzte, zerschnitt oder verbrannte. Nolde versuchte sich damit zu trösten, dass "Künstlernaturen" eben "nie glücklich" sein könnten. Nolde war kein Theoretiker: Er folgte seinem "inneren Trieb", der ihn freilich häufig auch in die Irre führte.
Nolde war als Maler Autodidakt. Er war von seiner Ausbildung her Möbelschreiner und arbeitete später als Möbelzeichner. Seine Besuche der privaten Zeichenschule Fehr in München, bei Adolf Hölzel und später der Académie Julian in Paris waren kaum mehr als Stippvisiten. Er war unstet von Stadt zu Stadt unterwegs, bis er schliesslich im Alter in seinem selbstentworfenen Atelierhaus Seebüll Ruhe findet. In St. Gallen, wo er Zeichenlehrer an einer Kunstgewerbeschule war, erfuhr er durch einen kuriosen Zufall die erste und für lange Zeit einzige Anerkennung seines künstlerischen Schaffens. Nolde zeichnete – oder karikierte – auf seinen Reisen einige der Schweizer "Bergriesen" und fertigte skurrile "Bergpostkarten" an. Zwei dieser Karten wurden in der Münchner Zeitschrift "Jugend" veröffentlicht: Nolde erhielt "unendliche Anfragen" von Sammlern und liess eine Auflage von 100 000 Exemplaren drucken. Er machte einen Gewinn von 25 000 Franken, gab seine Stelle an der Gewerbeschule auf und begann ein unstetes Wanderleben.
Das Geld reichte fünf Jahre, 1902 war er fast völlig verarmt und zweifelte an seiner Kunst. "Die Farben gehorchten mir nicht." Er ist schon in der Mitte seiner Vierzigerjahre, als er schreibt: "Der Maler hatte sich gefunden, die Farben waren seine Sprache geworden." Bis in seine späten Dreissigerjahre liess er nur zwei Bilder gelten, das grossformatige Ölgemälde "Bergriesen" (1895/96), eine Fortsetzung seiner Postkarten, und die eigentümliche Phantasieschöpfung "Vor Sonnenaufgang" (1901). Die beiden Werke bilden den Auftakt der Ausstellung und zeigen bereits am Beispiel des Frühwerks Noldes Hang zum Phantastischen und Grotesken.
Ein Winter in Kopenhagen 1900/01 war der Tiefpunkt seines damaligen Lebens. Er ist vereinsamt, sucht – per Zeitungsannonce – verzweifelt und vergeblich eine Frau, hat Depressionen und Suizidgedanken: "Mir schien das Leben wie verloren." Sein Leben und künstlerisches Schaffen ändert sich erst, als er, der sich als "halbverkommenen Sonderling" sieht, Ada Vilstrup, eine angehende dänische Schauspielerin, kennenlernt, die er 1902 heiratet. Es ist der Beginn eines neuen Lebens, den Nolde zugleich mit einer Änderung seines Namens besiegelt. Er nennt sich nunmehr "behördlich bewilligt" Emil Nolde. Nolde hat sein privates Glück gefunden, die materiellen Sorgen bleiben. Das Paar zieht auf die Ostseeinsel Alsen, wo es unter ärmlichen Verhältnissen in einem kleinen Fischerhaus lebt.
1906 gelingt Nolde – nach einer Altartafel für eine Dorfkirche – ein erster bedeutender Verkauf, Nolde ist mittlerweile 39 Jahre alt. Karl Ernst Osthaus, der Leiter des Museums Folkwang Hagen, kauft das impressionistisch inspirierte Porträt Ada Noldes, "Frühling im Zimmer" (1904). Durch die Bekanntschaft mit Osthaus kommt Nolde auch mit Schmitt-Rottluff, Mitglied der Brücke, in Kontakt, der er später beitritt, worauf er jedoch bald auch wieder austritt. Nolde ist nunmehr im Kreis der expressionistischen Avantgarde angekommen.
Die in den folgenden Jahren stattfindenden entscheidenden Veränderungen in der künstlerischen Konzeption Noldes sind in der Ausstellung kaum dokumentiert. 1906 malt Nolde das Bild "Freigeist", bei dem alles "wie neu erfunden werden" musste. Noch drastischer sind die Veränderungen in den religiösen Bildern des Jahres 1909, "Abendmahl" und "Pfingsten", auf die 1911/12 das neunteilige Werk "Das Leben Christi" folgt. Die religiösen Bilder markieren die "Wende" in Noldes Schaffen: "Mit (!) Bildern 'Abendmahl' und 'Pfingsten' erfolgte die Wende vom optisch äußerlichen Reiz zum empfundenen inneren Wert. Marksteine wurden sie, – wohl nicht nur in meinem Werk."
Nolde hat den Impressionismus seines Frühwerks überwunden (Impressionismus sei für ihn ein "Weg", kein "Ziel" gewesen). Umwertung der Natur durch Hinzufügung des "Seelisch-Geistigen" macht nunmehr für ihn das Werk erst zum Kunstwerk. Mit Bildern wie "Abendmahl", "Pfingsten" oder "Das Leben Christi" hätte man diese Wende zeigen können, insbesondere mit dem Mittelbild, der monumentalen "Kreuzigung", in der Nolde Grünewalds Bildkomposition aufgreift.