Sich die Bedrängnis von der Seele malen - darin hat der Maler Franz Radziwill selbst seinen kunstschaffenden Antrieb gesehen. Es gab ja auch viel zu bewältigen und zu verarbeiten in einem Leben, das fast das gesamte 20. Jahrhundert in Deutschland umfasste. Mehr als 850 Gemälde hat Radziwill hinterlassen, dazu rund 2.000 Aquarelle, zahlreiche graphische Arbeiten und Federzeichnungen. Hinzu kommen noch Gedichte und einige Prosatexte, ebenso Tagebücher, Briefe und Zeitungsartikel. Für einen Biographen des Malers aus dem Weserland eine wahre Fundgrube an Material, das es aber auch erst zu bewältigen und zu verarbeiten gilt. Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Eberhard Schmidt hat sich dieser Aufgabe angenommen und jüngst eine Biographie über Franz Radziwill vorgelegt. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Bekenntnis zum Schutz der bedrohten Natur"
L.I.S.A.: Herr Professor Schmidt, Sie haben eine neue Biographie über den Maler Franz Radziwill mit dem Titel „Wohin in dieser Welt?“ vorgelegt. Was hat Sie veranlasst, sich diesem Maler anzunehmen, über den bereits so viel geschrieben wurde und der so kontrovers diskutiert wird, und eine Biographie zu schreiben? Welche Überlegungen gingen Ihrem Vorhaben voraus?
Prof. Schmidt: Über Franz Radziwills Werk, der in seinem langen Leben (1895-1988) mehr als 850 Gemälde und eine noch erheblich größere Zahl von Aquarellen, Radierungen und Zeichnungen geschaffen hat, sind zwar eine Reihe von kunsthistorischen Abhandlungen zu einzelnen seiner Werkphasen und besonderen Aspekten seines Schaffens verfasst worden, auch einige biografische Arbeiten, die sich aber zumeist nur mit seinen politischen Verwicklungen in den Jahren von 1933-1938 beschäftigten. Es fehlte aber eine umfassende Biografie, die seinen Lebensweg insgesamt darstellt, wie sie für seine Kollegen aus dem Kreis der neusachlichen Maler, etwa Otto Dix oder George Grosz, mit denen er befreundet war, schon vorliegt. Diese Lücke wollte ich schließen, nicht zuletzt wegen der hohen ästhetischen Qualität von Franz Radziwills Werk, sondern auch, weil seine künstlerische Botschaft heute so aktuell ist wie zu seiner Zeit. Seine in den Gemälden immer wieder kehrende Kritik an der verantwortungslosen Handhabung der verfügbaren technischen Möglichkeiten und sein Bekenntnis zum Schutz der bedrohten Natur trifft gerade heute auf eine breite Resonanz. Diese Aktualität bezeugen auch die zahlreichen großen Ausstellungen in den letzten Jahren, die ihm gewidmet wurden oder in denen er vertreten war. Erinnernswert fand ich darüber hinaus das Exemplarische seines Lebenswegs, der ihn mit Höhen und Tiefen durch alle gesellschaftlichen Systeme im Deutschland des 20. Jahrhunderts geführt hat, vom Kaiserreich bis zur Spätzeit der alten Bundesrepublik. Nicht zuletzt war es auch meine ganz persönliche Faszination von seiner Kunst, die mich motiviert hat, den Maler mit meinen Mitteln zu porträtieren.
Was die Herangehensweise an die Darstellung betrifft, so habe ich mich entschieden, Hugo von Tschudi, dem einstigen Direktor der Berliner Nationalgalerie, zu folgen: „Gewiß das Beste, Inhaltsreichste und Aufklärendste, was über Kunst gesagt wurde, ist von Künstlern selbst gesagt worden.“ Ich lasse Franz Radziwill in meiner Biografie deshalb so oft wie möglich mit seinen werkbezogenen Aussagen selbst zu Wort kommen, damit die Leserinnen und Lesern sich ein authentisches Bild der vielfältigen Aspekte seiner Persönlichkeit machen können, die von Neugier, Begeisterungsfähigkeit, Humor, und Empathie geprägt war, aber auch Züge von Schroffheit, Momente der Angst und Verzweiflung kannte. Als Zeithistoriker habe ich mich bemüht, den sozialen, politischen und ökonomischen Kontext einzufangen, in dem der Künstler sich entscheiden und handeln musste. Schließlich habe ich auch Wert darauf gelegt, eine lesbare und unterhaltsame Biografie vorzulegen, die auch, aber nicht allein akademischen Ansprüchen genügt.