Der Studienrat und SS-Offizier Dr. Günther Flume starb 1985 vierundachtzigjährig als in seinem „Netzwerk“ geachteter „Philanthrop“. Seine menschenverachtende Nazi-Laufbahn und die „Wiederverwendung“ als Lehrer nach dem Zweiten Weltkrieg, sowie seine fortgesetzten Untaten als „Pädagoge“ ab 1945, die bis hin zum Suizid eines Schülers führten, wollen wir exemplarisch für ähnliche Lebensläufe von Lehrern in und nach der Zeit von 1933 bis 1945 mit unserer Dokumentation aufzeigen.
Flumes Dichtung und die Wahrheit
Eine Dokumentation von Peter Kleinschmidt und Ulrich Schoen-Sanders
Aus dem Vorwort
In den Jahren 1958 und 1983 erschienen jeweils Festschriften zum 100. bzw. 125. Jubiläum des Max-Planck-Gymnasiums in Dortmund (vormals Bismarck-Realgymnasium). Diese enthielten Artikel zur Geschichte der Schule während der Naziherrschaft. Zum Erscheinungszeitpunkt der Schriften lebten oder unterrichteten sogar noch zahlreiche Lehrer der Schule, die zwischen 1933 und 1945 aktiv der damals herrschenden Regierung und Partei verbunden waren. Entsprechende Erwähnungen fehlen in den Festausgaben völlig.
Wir wollen mit dieser Dokumentation zum Füllen dieser Darstellungslücke einen Beitrag leisten, indem wir die Historie unseres Lehrers Studienrat Dr. Günther Flume, geb. 24.12.1901 und verstorben 9.6.1985, schildern. Dieser beschrieb sich nach 1945 selbst als Philanthrop, war aber vorher aktiv im Dienst der NSDAP und der SS (als SS-Rassebeauftragter, SS-Schulungsleiter und zuletzt als Obersturmführer). Die Widersprüchlichkeiten seiner Selbstdarstellung vor und nach dem Krieg und die Vertuschungsbemühungen seiner Verfehlungen, auch von offiziellen Stellen, waren neben unseren negativen Eindrücken als seine Schüler die Hauptmotivation für unsere Bemühungen.
Ziel der Dokumentation ist es nicht, jemanden zu diffamieren oder zu schaden. Die dargestellten Verfehlungen betreffen auch keine lebenden Personen. Alle von uns getroffenen Aussagen sind durch Quellen belegt. Sie sprechen für sich, so dass wir dem Leser Wertungen weitestgehend selbst überlassen können.
Wir Verfasser haben 1968 bzw. 1967 am Max-Planck-Gymnasium (kurz MPG) das Abitur gemacht. Flume war zwischen 1958 und 1964 zeitweise unser Deutsch- bzw. Geschichtslehrer. Unabhängig voneinander stießen wir auf Dokumente zu Handlungen von Flume zur Zeit des Nationalsozialismus und in der "Kampfzeit". Peter Kleinschmidt fand diese im Rahmen von Google-Recherchen zu seiner Erinnerung an den Selbstmord eines Mitschülers, an dem Flume Schuld gehabt haben soll. Ulrich Schoen-Sanders lernte vor etwa vier Jahren in Burgsteinfurt einen mit der Geschichte des Ortes vertrauten Lokalforscher kennen. Auf verschiedenen Web- Seiten des örtlichen Heimatvereins stieß er auf einen Studienrat Dr. Günther Flume. Vielleicht hatte der ehemalige Lehrer des MPG etwas mit dem im Netz gefundenen gemeinsam. Auf seine Anfrage per E-Mail an den Historiker Dr. Willi Feld, der u.a. Bücher über die Juden in der Stadt Burgsteinfurt geschrieben hat: „Ist mein ehemaliger Lehrer Dr. Günther Flume des Max-Planck-Gymnasiums in Dortmund aus den Jahren ab 1958 evtl. identisch mit dem gleichnamigen Rassebeauftragten der NSDAP in Burgsteinfurt um 1938?“ , erhielt er folgende kurze und eindeutige Antwort: „Die beiden Dr. Günther Flume, der eine, der sich selbst in der Nachkriegszeit gerne als Philanthrop sah und darstellte, und der andere, der SS-Obersturmführer der Vor- und Kriegszeit, sind identisch“.
Flume hatte vom 1.11.36 bis zum 1.10.39 seinen Wohnsitz in Burgsteinfurt. Er war Studienassessor und später Studienrat am dortigen Arnoldinum, einem traditionsreichen Gymnasium in der heutigen Kreisstadt.
Dr. Feld wurde auch von Peter Kleinschmidt angeschrieben und vermittelte den Kontakt zwischen uns (wir kannten uns auch aus der Schul- und Studienzeit).
Als wir ab Ende der 50er Jahre als Schüler das Max-Planck-Gymnasium in Dortmund besuchten, erfuhren weder wir noch unsere Mitschüler irgendetwas von den Tätigkeiten unseres zeitweiligen Deutsch- und Geschichtslehrers Dr. Günther Flume, die er noch kaum mehr als 15 Jahre zuvor ausgeübt hatte. Wir wussten mit nationalsozialistischen Bünden wie NSLB und RuSHA nichts anzufangen, obwohl mindestens Studienrat Flume uns davon und von seinen persönlichen Verstrickungen sehr anschaulich hätte berichten können. Er erzählte uns nur von „seinem“ Denkmal in Griechenland, das man zu Ehren seiner Hilfsbereitschaft errichtet habe. Das Denkmal existiert nicht.
Es gibt in den archivierten Akten zum MPG (Max-Planck-Gymnasium) in Dortmund, der Staatsanwaltschaft Münster, von NSDAP und SS mehrere hundert Seiten bzgl. Günther Flume. Viele Jahre intensiver Nachforschung haben immer noch neue Details hervorgebracht. Einige Schriftstücke sind auf nicht nachvollziehbare Weise verschwunden, obwohl sie vorhanden sein müssten. Wenn man sich die Verbindungen Flumes vor und nach 1945 näher anschaut, erkennt man ein Netzwerk gegenseitiger Unterstützungen. Exemplarisch werden wir folgend einige Inhalte aus Akten zitieren, die vielleicht besonders geeignet sind, einen Großteil von Flumes Persönlichkeit wiederzugeben. [...]
Uns ist bewusst, dass viele der Meinung sind und waren, dass man als "solche Dinge nicht mehr rühren sollte". Zwei gegensätzliche Meinungen zur Aufarbeitung von Vergangenheit hierzu seien hier aufgeführt: Franz-Josef Strauß (Rede 1986): „Wir müssen auch schrittweise, ich darf sagen, Meile für Meile auf einem Weg zurücklegen, in dem die Vergangenheit allmählich bewältigt und in der Versenkung, oder Versunkenheit besser gesagt, verschwindet. Denn die ewige Vergangenheitsbewältigung als gesellschaftspolitische Dauerbüßeraufgabe lähmt ein Volk!“ Theodor W. Adorno (1959): „Die Ermordeten sollen noch um das einzige betrogen werden, was unsere Ohnmacht ihnen schenken kann, das Gedächtnis.“[1]
Wir denken aber, dass viel zu selten und zu wenig über Lehrer geschrieben wurde, die trotz ihrer nationalsozialistischen und rassistischen Gesinnung die unkontrollierte Gelegenheit hatten, Heranwachsende zu erziehen, und halten es also eher mit Adorno. [...]