In der Bundesrepublik Deutschland war noch bis Ende der 1960er Jahre jede Form von männlicher Homosexualität kriminalisiert. Trotz Kritik hielt die Politik am vom Nationalsozialismus übernommenen Paragrafen 175 StGB fest. Das insgesamt restriktive Sexualstrafrecht der Bundesrepublik hatte Auswirkungen auf die Lebenswelten Vieler – betroffen waren homo- und bisexuelle Männer wie Frauen, Transgender und selbst Heterosexuelle, die kein der Norm entsprechendes Beziehungs- und Liebesleben führten.
Diese reformfeindliche Haltung der Politik war mitunter bestimmt und fundiert durch den politischen Einfluss der beiden christlichen Kirchen. In den 1950er Jahren war es die katholische Kirche und hier insbesondere der Volkswartbund, der in seinen Streitschriften in heute kaum noch vorstellbarer Art und Weise gegen Homosexuelle und Andersliebende hetzte. Aber die Kirchen waren es auch, die über Moraltheologie, Seelsorge oder auch im Zuge der Debatte um die Reform des Sexualstrafrechts Themen wie andere Lebensmodelle oder Homosexualität aufgreifen konnten. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Akademien – in Württemberg die Evangelische Akademie in Bad Boll und die katholische Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
In ihrem gemeinsamen Vortrag vermitteln Julia Noah Munier und Karl-Heinz Steinle einen Eindruck vom restriktiven Einfluss der Kirchen auf die Lebenswelten von homo- und bisexuellen Männern in Baden-Württemberg in den ersten Nachkriegsjahrzehnten. Sie beleuchten durchaus ambivalente Anerkennungsbemühungen und stellen kirchliche Institutionen und Akteur:innen vor, die Liberalisierungsdebatten mit anstießen.
Eine Veranstaltung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Bad Boll und dem Forum männer.bw. Gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung. Teil der Stuttgarter Veranstaltungsreihe "30 Tage im November. Vom Wert der Menschenrechte".
Referent:innen
Dr. Julia Noah Munier ist Kunst- und Kulturwissenschaftler:in und akademische Mitarbeiter:in im Forschungsprojekt „LSBTTIQ in Baden und Württemberg. Lebenswelten, Repression und Verfolgung im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Deutschland“ an der Universität Stuttgart. Dort derzeit Forschung zur staatlichen Repression nach § 175 in Baden-Württemberg. Munier ist Redaktionsmitglied der „FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur“ und Mitglied im wissenschaftlichen Netzwerk der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „Queere Zeitgeschichten im deutschsprachigen Europa“.
Der Historiker Karl-Heinz Steinle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Public History am Forschungsprojekt „LSBTTIQ in Baden und Württemberg: Lebenswelten, Repression und Verfolgung im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Deutschland“ an der Universität Stuttgart. Freischaffend arbeitet er u.a. für das Interviewprojekt „Archiv der anderen Erinnerungen“ der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und das Forschungsprojekt „Queer durch Tübingen“ des Stadtarchivs Tübingen.
Anmeldung
Die Veranstaltung ist kostenfrei. Wir bitten um Anmeldung bis 13. November 2022 unter https://www.akademie-rs.de/vakt_25054. Sie erhalten einen Tag vor der Veranstaltung die Zugangsdaten für Zoom. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Simone Storck unter storck@akademie-rs.de.
Mit der Teilnahme akzeptieren Sie die Datenschutzerklärungen der Akademie (www.akademie-rs.de/datenschutz) sowie der Plattform Zoom (https://zoom.us/de-de/privacy.html). Mit der Anmeldung erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir gegebenenfalls Fotos oder Filme veröffentlichen, auf denen Sie zu erkennen sind.