Stefan Weidners sehr gut verständliche Essaysammlung „Aufbruch in die Vernunft“ besteht aus 31 klug aneinandergereihten Kurzreportagen und Kommentaren. 27 von diesen sind – mal mehr, mal weniger -neu bearbeitete Artikel, die bereits ab 1999 überwiegend in deutschen Tageszeitungen erstveröffentlicht wurden. Gleichzeitig bleibt jede Seite dieses tractatus irae eine hochaktuelle Abrechnung mit der europäischen Unterschätzung der Araber, den irrationalen Ängsten und gängigen Vorannahmen, die deutsche Islambildverzerrer in den Mainstreammedien reproduzieren. Stefan Weidner analyisert die deutsche Islamberichterstattung in dem Jahrzehnt zwischen 2001 und 2011 hier ausführlich auf ihren Unwahrheitsgehalt. Aber auch die gegenwärtige Islamwissenschaft in Deutschland wird kritisch auf ihre Verdienste geprüft.
"Fundamentalkritik an die Broders, Sarrazins und Keleks unsere Zeit"
„Die Anti-Islam-Bewegung hat nicht den Hass gegen den Islam, sondern den gegen das heutige Europa hochgepäppelt“ (S. 99) analysiert der Autor treffend. Das Phänomen der Islamkritik deutet er insbesondere als Ergebnis eines Mangels an Denkkultur und Aufklärung (S. 116), daher der im Titel formulierte Wunsch „Aufbruch in die Vernunft“. Stefan Weidner verfügt über eindrucksvolle Expertise und formuliert in klarer Sprache erfrischend deutliche Positionen - meist genau jene, die man in den Massenmedien allzu oft vermisst. Den islamängstlichen Broders, Sarrazins, Keleks, Ulfkottes usw. dieser Welt schlägt in diesem informationsprallen Band eine faktenwuchtige Fundamentalkritik ihrer hysterischen „islamkritischen“ Verzerrungen entgegen. Für all die Islamkenner, die sich regelmäßig über die überwiegend einseitige oder zumindest eindimensionale Berichterstattungen deutscher Meinungsmacher ärgern, ist dieser Essay ein Hochgenuss. Neben der gegenwärtigen Arabellion, die deutlich die arabische Demokratiefähigkeit demonstrierte, wird insbesondere auch die Palästinafrage in ihrer ganzen Komplexität erläutert. Auch und gerade für interessierte Laien ist das vorliegende Werk eine in jeder Hinsicht lohnende Lektüre. Weidners Detailkenntnis ist in solcher Deutlichkeit selten auf Deutsch zu finden, ja dieser Essay ist der bislang gelungenste Leitfaden durch den deutschen Islamdebattendschungel. Gerade wer nur ein Buch zur Islamdebatte lesen möchte, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen.
"Keine ausgeprägte Islamophilie"
Sprachlich lässt der Autor an Prägnanz nichts zu wünschen übrig und auch inhaltlich bleibt kein Tabuthema ausgespart: Charakterfehler und Glaubwürdigkeitsprobleme der deutschen Außenpolitik unter Westerwelle, deutsche Panzerverkäufe an Saudi Arabien trotz der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung im Bahrain und Religionsideologen, die „umstandslos zu bekämpfen wären“ (S. 23), Islamkonversionen deutscher Ehefrauen und unerklärte Islamapostaten in den hochsäkularisierten Gesellschaften Europas, israelische Propaganda aus dem Munde Merkels, die problematische Pietätspolitik deutscher Medien bei der Kriegsbilderberichterstattung zu Gaza, usw. Der Autor räumt in diesem Buch in zutiefst erfrischender Weise gründlich mit den in unserer Gesellschaft so weit verbreiteten Vorbehalten und Werturteilen islamischen Phänomenen gegenüber auf.
Für Islamwissenschaftler besonders interessant ist neben Weidners Exkurs zu übersetzerischen Kernkompetenzen seine von den universitären Verwaltungsstrukturen unabhängige Diskussion jüngster Publikationsprojekte von Marco Schöller, Thomas Bauer, Angelika Neuwirth und Hartmut Bobzin.
Zwischen gewichtiger Kritik an den Islamkritikern, lässt der Autor keine ausgeprägte Islamophilie erkennen. Im Gegenteil: Nüchtern wird erläutert, wo überall Islamisches zunehmend aus der „islamischen Zivilisation“ verschwindet und wo angebracht – etwa im Falle der radikalislamischen Staatsideologie Saudi Arabiens – findet der Autor klare Worte der scharfen Verurteilung. Vernunftwerdungsvorgänge sind ein dringendes Desiderat im gegenwärtigen Islamdiskurs. Das vorliegende Buch leistet hierzu einen im höchsten Maße verdienstvollen und gleichsam bemerkens- wie beispielhaften Beitrag.
Empfohlene Literatur
Bauer, Thomas: Die Kultur der Ambiguität: Eine andere Geschichte des Islams. Berlin: Verlag der Weltreligionen 2011.
Al-Khalili, Jim: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur. Frankfurt a.M.: Fischer 2011.
Krämer, Gudrun: Demokratie im Islam: Der Kampf für Freiheit und Toleranz in der arabischen Welt. München: C.H. Beck 2011.
Weidner, Stefan: Manual für den Kampf der Kulturen: Warum der Islam eine Herausforderung ist. Berlin: Verlag der Weltreligionen 2008.