Die Frage nach der kultischen Funktion, dem Status des Christusbildes in der Liturgie konnte bislang keine Untersuchung zu einzelnen Bildtypen und Themengebieten umfassend systematisch klären. In seiner Dissertation nimmt sich Tobias Frese dem Verhältnis von sakramentaler »Wahrheit« und bildlicher Realpräsenz sowie dem »performative[n] Realitätscharakter liturgischer Bilder« an und fragt, wie Bilder Christi die liturgischen Handlungen während der Messe veranschaulichen und wann in der christlichen Kunst von einem eucharistischen Christusbild als Spiegel der sakramentalen Realität gesprochen werden kann. In sechs Abschnitte gegliedert, ist diese Studie ein Beitrag zum mittelalterlichen Bilddiskurs, ihr Ausgangspunkt ist das grundsätzliche Verständnis der Messe als Bild.
Den Anfang markiert die Betrachtung spätantiker-frühchristlicher Darstellungen. Visualisiert das Mosaik in S. Pudenziana in Rom die imperiale, repräsentative, in Anlehnung an den Kaiserkult definierte Erscheinung des Hohepriesters, so zeigen die ravennatischen Mosaiken (San Giovanni Evangelista, San Vitale und San Apollinare Nuovo) explizit eucharistische Züge in der deutlichen Verknüpfung von himmlischer und irdischer Liturgie. Den aktualpräsentischen Charakter (Johannes Chrysostomos) betonend sind sowohl Bilder als auch liturgische Texte von der eschatologischen Königsherrschaft Christi und ekklesial bestimmt.
Die folgenden zwei Kapitel entfalten das Herzstück der Arbeit. Frese arbeitet das Bild der byzantinischen Maiestas Domini, die sich nicht über typologische Hinweise oder durch gezeigte sakramentale Handlungen definiert, als neue Art des eucharistischen Christusbildes heraus. Präzise werden das Thronbild Christi anhand der es konstituierenden biblischen Visionen (Jesaja, Ezechiel und Johannes) und als weiterer Kernpunkt die Einführung des liturgischen Sanctus analysiert; die parallel erbrachte umfassende Untersuchung von Messtexten und Liturgiekommentaren erweist die Kongruenz zwischen bildlicher Darstellung und dem Messkanon selbst. Die bisher vermeintlich als lässliche Ungenauigkeit betrachtete Vermischung der Visionsberichte in den Bildern der Maiestas Domini, stellt sich als exakte Visualisierung des Messgeschehens in seinem Ablauf dar und zeigt die aktuale Präsenz Christi in futuristisch, eschatologischer und ekklesialer Weise. Der Realitätscharakter der Gegenwart Christi wird anhand der Zeichenhaftigkeit der irdischen Handlungen als Verweis auf sein gesamtes Leben und die himmlische Realität sowie durch die souverän verknüpfte Diskussion von Messgeschehen und byzantinischem Bilddiskurs herausgearbeitet. Weit über einen reinen Text-/Bildvergleich hinaus trägt die Untersuchung die Darlegung des Bilderstreits und des Verhältnisses von Eucharistie und dem wahren Bild Christi, was es Frese ermöglicht, Kommentare und Bilder den divergierenden theologischen Positionen zuzuweisen.
Den Zugang zum karolingischen eucharistischen Christusbild bereitet Frese auch über die Betrachtung der Maiestas Domini. Die Untersuchung der Messe und ihrer theologischen Kommentierung ergibt dabei eine differenzierte Auffassung des Christusbildes und eine Verschiebung der byzantinischen Position. Es zeigt sich eine dezidiert visionär verstandene Interpretation, die durch die Verbindung und Zusammenschau mit dem Crucifixus den Fokus auf Passion, Auferstehung und Himmelfahrt, den res gestae, legt. Die minutiöse Untersuchung des Sakramentars von Gellone erlaubt die Zusammenschau von Maiestas und Crucifixus als Kanonbilder, was Frese anhand des Elfenbeindeckels des Perikopenbuches Heinrichs II. weiter ausbaut – es kann die Begründung für die Zusammenführung heute getrennter (teilweise inzwischen verlorener) Stücke festigen. Zudem gelingt es dem Autor auch hier unter Darlegung des Streits um die sakramentale Realität (imago, figura et veritas) einzelne Darstellungen den unterschiedlichen sakramentaltheologischen Positionen zuzuordnen.
Die Betrachtung der Bildwürdigkeit des Crucifixus legt die Verschiebung in der Argumentation des karolingischen Bilddiskurses von einer rein christologischen noch in den Libri Carolini vertretenen hin zu einer liturgisch-ekklesial bestimmten Auffassung des Kreuzes dar. In der liturgischen Definition der memoria erhält das Kreuz seine Akzeptanz, da durch dieses Christus selbst vergegenwärtigt wird, wodurch schließlich dem Crucifixus Legitimation zukommt. In der Diskussion des Gero-Kreuzes tritt Frese souverän argumentierend, unter erneutem Aufgreifen der kategorialen Unterscheidung von Symbol und Wahrheit, einer symbiotischen Überinterpretation von Bild und Sakrament entgegen und stellt die Beschränkung des Crucifixus auf die memoria und die allein in der Eucharistie enthaltenen Wahrheit deutlich heraus.
Als Konsequenz der erbrachten Darlegungen weist Frese die ikonografische Verschmelzung von Maiestas und Crucifixus im Bildtypus der mittelalterlichen Triumphkreuzgruppe nach. Schlüssel der Analyse, die über das Metzer Sakramentar und das Sakramentar von St. Denis reicht, ist die von der Forschung bisher nicht beachtete Bedeutung der Thronassistenten, der Cherubim. Dabei erweist sich die Triumphkreuzgruppe als Zusammenschau der kanonischen Abfolge von Präfatio, Sanctus und Opfergebet: Der von den Cherubim flankierte Crucifixus ersetzt das Bild des Thronenden und das Kreuz selbst wird zum Thron. Am Kreuz erhöht übernimmt Christus die sakramentale Funktion der Maiestas und repräsentiert in der Messe sowohl den Jubelgesang des Sanctus als auch das Opfergebet. Verifiziert wird dies anhand der Triumphkreuzgruppen von Halberstadt und Wechselburg.
Die Untersuchung schließt mit der Betrachtung der Realpräsenz Christi in der Eucharistie im hohen und späten Mittelalter, dem scholastischen Diskurs der Sakramentenlehre um substantia und accidens in der Transsubstantiation ab. Die theologische Akzentuierung von der ursprünglich in den Mittelpunkt gestellten Opfertat als reales Mysterium auf die eucharistische Konsekration als Akt der materiellen Wandlung bezeugt in ihrer Reaktion auch die Kunst, die die Verlagerung des sakramentalen Bildfokus in der Ablösung des Gekreuzigten durch andere eucharistischen Bilder, wie den Schmerzenmann, dokumentiert.
Die Arbeit ist von hoher Qualität. Ein grundlegendes Merkmal ist das exzellente Studium der griechischen und lateinischen Quellen, das die Einordnung des Christusbildes in diesem Maße erst ermöglicht. Abgesehen von Freses sicherem Umgang mit theologischen Fragestellungen profiliert ihn seine Studie gerade als versierten Kunsthistoriker, allein seine Beschreibungen suchen den Vergleich. Frese scheut vor aktuellen Diskursen nicht zurück und vertritt konsequent und fundiert seine Meinung. Seiner eigenen Positionierung im Rahmen der aktuellen mediävistischen Kultbildforschung (Büchsel/Müller) gegenüber älteren Vorstellungen (Keller/Belting) wird er mehr als gerecht. Man könnte eine Beschränkung auf den byzantinischen und karolingischen Bereich als ausreichend erachten, doch wäre dies nicht im Sinne dieser konzentrierten, konsequenten und stringenten Auseinandersetzung mit dem mittelalterlichen Bilddiskurs. Freses Stärke ist die logische Herleitung des bestechenden Arguments, das nicht über lückenhafte historische und theologische Überlieferungen oder fehlende Vergleichsbeispiele hinwegsieht, nur um hierdurch eine Behauptung zu bestätigen und Verfälschungen und Spekulationen zuzulassen. Auch sieht er davon ab, das Bild wie andere Kunsthistoriker zu überfrachten. Der letzte Satz der Arbeit ist bewusst gesetzt: »Das Wesentliche aber, die substantielle Gegenwart Christi, verbürgen die konsekrierten Elemente, nicht das Bild.« In seiner logisch strukturierten Argumentation, dem präzisen Denken und der kategorialen Differenzierung zeugt die Arbeit nicht nur vom Einfluss der Schule, die Frese genoss, sondern erweist sich als wichtiger eigenständiger Beitrag zum aktuellen bildwissenschaftlichen Forschungsdiskurs.
Die gedruckte Form dieser Rezension findet sich in: IMAGO. Interdisziplinäres Jahrbuch für Psychoanalyse und Ästhetik, 3 (2014).
Anselm Rau