Eines der Highlights des Jahres für die Nachwuchsforschungsgruppe „Transformations of Life“ im a.r.t.e.s. Research Lab war die Ausrichtung der Konferenz „Anthropologies of Media & Mobility – Theorizing Movement & Circulation across Entangled Fields“ vom 14. bis 16. September 2017. Gemeinsam mit dem Siegener DFG-Graduiertenkolleg „Locating Media“, vertreten durch Anna Lisa Ramella und Roger Norum, haben wir die beiden Forschungsnetzwerke „Anthropology and Mobility Network“ und „Media Anthropology Network“ der EASA (European Association of Social Anthropologists) eingeladen, um ihre jährlichen Netzwerktreffen kooperativ in der Medienmetropole Köln in Form einer internationalen Konferenz abzuhalten. Mit insgesamt 26 Präsentationen internationaler Wissenschaftlerinnen[1] zielte die Konferenz darauf ab, aktuelle sozialanthropologische Ansätze der Medien- und Mobilitätsforschung zur Frage möglicher theoretischer und praktischer Schnittmengen zusammenzubringen. Für einschlägige thematische Keynote-Vorträge konnten die Medienethnologin Prof. Heather Horst von der Sidney University und der Kommunikationswissenschaftler Prof. David Morley vom Goldsmith College in London gewonnen werden.
Media City Cologne meets EASA Media & Mobility Research Networks
Bericht zur internationale Konferenz an der Universität zu Köln, 14.–16. September 2017
Organisation: Martin Zillinger & Christoph Lange (a.r.t.e.s. Research Lab), Anna Lisa Ramella (Universität Siegen)
Im Zentrum der Diskussion standen die Hervorbringung und Transformation stetig neuer Medienpraktiken und -regime, die Mobilität begleiten, hervorbringen oder verheißen. Durch die Diskussion konkreter ethnographischer Fallstudien wurde schnell deutlich, dass es um eine verortete Untersuchung von Medienpraktiken und Mobilität gehen muss, um idealisierte lineare Narrative zu vermeiden, nach denen Medien per se eine neue oder wenigstens gesteigerte technische oder soziale Mobilität zugeschrieben werden. Viele der vorgeblich verheißungsvollen Handlungsoptionen, die durch Mediennutzung und gesteigerte Mobilität von Menschen, Zeichen und Dingen generiert würden, erscheinen vielmehr durch Brüche und Konflikte gekennzeichnet. An den ethnographischen Fallstudien wurde deutlich, dass off- und online Medienpraktiken häufig Krisen auslösen, die auf Ebene der Akteurinnen zuerst eben nicht Handlungs-, sondern Aushandlungs- und Orientierungsprozesse anstoßen. In Folge dessen erscheinen Sammelbegriffe wie ‚das Internet‘, ‚Web 2.0‘, ‚Social Media‘ oder ‚digitale Globalisierung‘ wenig zielführend und sollten zu Gunsten einer Situierung konkreter Medien- und Mobilitätspraktiken aufgehoben werden. Mit diesem Anspruch folgte die Konferenz nicht nur einem praxeologisch situierten Medien-Begriff der Siegener DFG Forschungsgruppe „Locating Media“, sondern auch dem in den vergangenen Jahren von Juniorprofessor Martin Zillinger am a.r.t.e.s. Research Lab starkgemachten praxis-theoretischen Forschungsprogramm.
Exemplarisch für diesen medienpraktischen Ansatz war besonders die Forschung von Paul Michael Leonardo Atienza. Unter dem Titel „The Promise of Intimacy: Gay Filipinos on Mobile Phone Apps“ stellte Atienza heraus, dass sich vor allem die besondere geopolitische philippinische Situation – gekennzeichnet durch eine extreme transnationale Arbeitsmigration und die höchsten HIV-Infektionsraten auf der Welt – als idealen Investitionsmarkt für die Mobile Dating App-Industrie anbietet, um den Traum und die Vision von grenzenlosen und unmittelbaren romantischen und sexuellen Beziehungen auf einem Markt zu platzieren, dessen Umsatz auf mehr als 2 Mrd. US-Dollar geschätzt wird. Atienza folgte in seiner ethnografischen Feldforschung Mitgliedern der transnationalen philippinischen off- und online gay community in Los Angeles (USA) und Manila (Philippinen). Auf der Konferenz präsentierte er einen Teil seiner Feldforschungsergebnisse aus Manila, die deutlich werden ließen, dass der Traum grenzenloser Kontakte zur Erosion etablierter Dating-Praktiken und dem Verschwinden von spezifischen Infrastrukturen – von Bars bis zu kompletten gay-Vierteln in der Stadt – geführt hat, die eine subjektivierte app-basierte Dating-Praxis nicht kompensieren konnten. Die gesellschaftlichen Konsequenzen drücken sich darin aus, dass eine vormals im Stadtbild als vital und öffentlich sichtbar gelebte gay community in die Unsichtbarkeit privater Appartements abgewandert ist, wo die neuen Apps zwar interpersonale Kontaktaufnahmen ermöglichen, die Existenz einer gay community jedoch als fragwürdig erscheinen lassen.
Die extreme Verschränkung von Medien, Mobilität und politischer Macht thematisierte der Konferenzschwerpunkt Flucht und Migration. Gleich mehrere Vorträge widmeten sich dem Thema aus unterschiedlichen Bereichen. Sei es in Form von grundsätzlichen Fragen der Forschungsethik im Kontakt mit existentiell bedrohten Informantinnen, besonders relevant bei Menschen auf der Flucht, der politischen Rolle und Verantwortung der Ethnologin im Umgang mit gesammelten Daten und Materialien und dessen Instrumentalisierung und Vereinnahmung im öffentlichen Diskurs, oder der vielfältigen und überlebenswichtigen Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT bzw. Smartphones) bei der Vorbereitung und Durchführung eines konkreten Fluchtvorhabens und einer ersten ‚Verortung‘ am Bestimmungsort. Besonders letzterer Punkt hat auch in Deutschland 2017 eine sehr kontrovers geführte öffentliche Debatte über ‚das Handy der Flüchtlinge‘ ausgelöst.
Besonders die Forschung von Katja Kaufmann aus Wien zu „Mobility through and with media: The locative media practices of Syrian refugees using smartphones“, Maria-Nerina Boursinous (Leicester, UK) Vortrag „Digital freedom vs. Physical immobility: The role of ICTs in the lives of forced migrants in Greece“ und die Video-Installation „Waiting for the Tide to Turn: on the Politics of Volunteering for Refugees“ von Brigitte Borm aus Berlin haben die Herausforderung zu meistern gesucht, die politische Dimension und Verantwortung der Forscherin gegenüber ihrem Thema und ihren Kontakten mit der Verwobenheit von lokaler Praxis und international geführtem Diskurs in Einklang zu bringen, ohne die praxis- und akteurinnenzentrierte Perspektive aus den Augen zu verlieren.
Als abschließender Punkt sei die Präsentation „Ai Weiwei on refugees and mobile phones“ von Javier Caletrío des Pariser Mobile Lives Forum erwähnt, die das Screening eines vom Forum initiierten Interview- und Dokumentarfilmprojekts über den Künstler Ai Weiwei und sein Werk „Connected Refugees“ umfasste. Die einerseits schon in sich selbst als Selbstreflexion des Künstlers angelegte Arbeit und Präsentation sorgte in der anschließenden Diskussion für eine äußerst angeregte zweite Reflexionsrunde über die schon erwähnte politische Verantwortung von Wissenschaft gegenüber gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen, überpräsent und -drängend vor allem im Bereich von Flucht und Migration, jetzt jedoch unter Einbeziehung von Kunst als dem ‚universellen Medium der Verständigung‘, die sich wie im Fall der Arbeit von Ai Weiwei eigenständig an Medientechnologien bedient und diese reproduziert. Kritisch und den eingangs beschriebenen Forderungen eines situierten und stets im lokalen Praxiskontext beschriebenen Medienbegriffes folgend stellten die Teilnehmerinnen der Konferenz die universalisierende und streckenweise unerträglich paternalistische Perspektive des Künstlers auf Geflüchtete als ‚Prototyp der Unterdrückung‘ in Frage und lieferten damit gewissenermaßen als einen Abschluss der Konferenz ihren eigenen praxistheoretischen Versuch, sich im gesellschaftlichen Diskurs zu situieren.
Zu guter Letzt sei den großzügigen Förderinstitutionen der Konferenz gedankt, namentlich der European Association of Social Anthropologists, dem DFG-Graduiertenkolleg „Locating Media“ und SFB 1187 „Medien der Kooperation“, beide Universität Siegen, der Competence Area IV „Cultures and Societies in Transition“ und natürlich unserer Graduiertenschule a.r.t.e.s., ohne die die Veranstaltung in dieser internationalen Besetzung nicht möglich gewesen wäre.
Wer mehr über die weiteren Vorträge und Diskussionen erfahren möchte, ist herzlich eingeladen, einen Blick in die gesammelten Kurz-Zusammenfassungen des Programms online unter mediamobility.wordpress.com zu werfen. Ansonsten arbeiten die Organisatorinnen bereits an einem Konzept und Plan, die Ergebnisse und das der Tagung zugrundliegende Konzept situierter ethnografischer Medien- und Mobilitätsforschung zu publizieren. In diesem Sinne: We keep you posted!
Christoph Lange (a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities)
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[1] Der Autor hat sich wie immer entschlossen, durchgehend bei der Verwendung von Kollektiva die grammatikalisch feminine Form zu verwenden, was keinesfalls männliche Teilnehmer und Personen ausschließen oder gar diskriminieren soll.
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