Universalismus und Partikularismus – ein Begriffspaar, das in der Regel als Gegensatzpaar begriffen wird. Entweder gilt beispielsweise eine Norm für alle oder nur für eine Gruppe und dezidiert nicht für alle. Anspruch auf universelle Geltung erheben beispielsweise die Erklärung der Menschenrechte, die katholische Lehre oder auch die kommunistische Ideologie. Die Idee der Nation – wenn auch inzwischen universell – ist dagegen partikular gedacht und bezieht sich ausschließlich auf Menschen, die Angehörige einer Nation sind.
Diesem Zusammenhang, dem Spannungsverhältnis universell-partikular, geht die Kolleg-Forschungsgruppe (KFG) Universalism and Particularism in European Contemporary History an der LMU München nach. Einer der drei Leiter der KFG, Prof. Dr. Martin Schulze Wessel, erklärt in unserem L.I.S.A.Interview die Leitfragen und Forschungsziele. Fester Bestandteil der KFG sind zudem Vorlesungsreihen, deren Veröffentlichung wir gestartet haben. Im Eröffnungsvortrag spricht der Historiker Prof. Dr. John Connelly von der University of Berkeley über das besondere Verständnis von Nation in Ost- und Mitteleuropa, das in seiner Auffassung ein tragisches ist.
Um eine andere Perspektive auf die Nation geht es im Videovortrag des Historikers Prof. Dr. Dieter Hein von der Goethe-Universität Frankfurt aus der Ringvorlesung Religion – Revolution – Reaktion. 1848 in Perspektive. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit im Zuge der Säkularisierung seit der Aufklärung die Idee der Nation die Religion als überzeitliches Sinnangebot abgelöst und selbst Kultcharakter angenommen hat.
Wir bleiben im europäischen 19. Jahrhundert und werfen einen Blick auf eine literarische Epoche, in der das Begriffspaar Universalismus-Partikularismus eine bedeutende Rolle spielt und die zudem mit den aufkommenden Nationalbewegungen eng verbunden ist: die Romantik. In der Reihe vhs.wissen live stellt der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Matuschek die Romantik als eine Bewegung dar, die in ihrer Auseinandersetzung mit dem Menschen, seiner Innerlichkeit und seiner Stellung im Kosmos die europäische Moderne bis heute prägt.
Die europäische Moderne war auch der Fluchtpunkt der zunächst jungtürkischen Reformbestrebungen und später der Nationalbewegung unter Kemal Mustafa Atatürk. Mit der Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 waren die Weichen auf eine Modernisierung des Landes und der Gesellschaft nach Art des Westens gestellt. Passend zum 100-jährigen Staatsjubiläum hat die Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart ein Gespräch zwischen der Politikwissenschaftlerin PD Dr. Gülistan Gürbey von der FU Berlin und dem Soziologen Dr. Yaşar Aydın von Stiftung Wissenschaft und Politik über 100 Jahre türkische Außenpolitik organisiert. Einen mehr gesellschaftlichen und kulturellen Aspekt der Modernisierung bzw. Westernisierung der Türkei beleuchtet unser L.I.S.A.Interview mit der Historikerin und Stipendiatin der Gerda Henkel Stiftung, Dr. Elife Biçer-Deveci von der Universität Bern. Ihr Thema: Der Konsum von Alkohol.
Von Konsumgütern insgesamt und deren Bedeutung für die Nationsbildung handelt der Videovortrag der Historikerin Dr. Nadine Klopfer von der LMU München, gehalten am Historischen Kolleg München. Sie stellt dabei die Frage, wie sich in den frühen Vereinigten Staaten von Amerika der nahezu ungebremste Import britischer und vor allem französischer Waren auf die noch junge Nation und das transatlantische Verhältnis zwischen Europa und den USA ausgewirkt haben. China indes gilt als der komplette Gegensatz zu Europa bzw. zum Westen. Der Sinologe Prof. Dr. Daniel Leese von der Universität Freiburg prüft in einem Videogespräch der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus diese und andere typische Vorannahmen.
Zum Schluss noch einmal zurück zu Europa. Das abschließende Videogespräch des diesjährigen Doktorandenkolloquiums in der Villa Vigoni liegt nun vor. Darin sprechen der Historiker Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz von der Universität Wrocław, der Politikwissenschaftler PD Dr. Felix Heidenreich von der Universität Stuttgart sowie die Kulturwissenschaftlerin Dr. Amélie Baasner von der Villa Vigoni über die Zukunft der Demokratie in Europa.
Und da es mit dem Begriffspaar Universalismus-Partikularismus begonnen hat, schließen wir damit hier auch ab – mit einem Hinweis auf den kommenden Montag. Denn dann veröffentlichen wir eine neue Ausgabe von Zu Gast bei L.I.S.A. Eingeladen war der Historiker Prof. Dr. Till van Rahden von der Université de Montréal. Der Titel des Videos: Vielheit oder Vielfalt? Das Partikulare der Universalismen.
Mit vielen herzlichen Grüßen
Ihre L.I.S.A.Redaktion