Das Begriffspaar Universalismus-Partikularismus ist so alt wie das philosophische, religiöse und politische Denken auch. Auch wissenschaftshistorisch ist das Begriffspaar konstitutiv, wenn es um Theorie und Praxis im Zusammenhang mit Grundbegriffen wie beispielsweise Freiheit, Gerechtigkeit, Recht oder Kultur und Zivilisation geht. In allen Fällen stellen sich Fragen nach Ordnungen von Kollektiven und Individuen sowie nach deren Beziehungen und Verhältnissen unter- und zueinander. An der LMU München nimmt sich seit gut einem Jahr eine neue Forschungsgruppe dieses Begriffspaars an und fragt nach universalistischen und partikularistischen Ordnungsmodellen in der europäischen Zeitgeschichte von den siebziger Jahren bis in die Gegenwart. Einer der drei Leiter der neuen Kolleg-Forschungsgruppe (KFG) ist der Osteuropa-Historiker Prof. Dr. Martin Schulze Wessel. Wir haben ihm unsere Fragen zur KFG gestellt.
"Aus liberaler Sicht ist das eine Enttäuschungsgeschichte, die schon oft erzählt worden ist"
L.I.S.A.: Am Historischen Seminar der LMU München ist eine neue Kolleg-Forschungsgruppe, kurz: KFG, gegründet worden. Der Titel der KFG lautet: "Universalism and Particularism in European Contemporary History". Bevor wir auf einige Einzelheiten zu sprechen kommen – wie ist es zu dieser Forschungsgruppe gekommen? Welche Beobachtungen und Überlegungen gingen ihr voraus?
Prof. Schulze Wessel: Wir haben den dramatischen Wandel seit 1989 erlebt: Vom vorzeitig proklamierten „Ende der Geschichte“ zur Geschichte der neuen Nationalismen und Imperialstaaten, die die Grundsätze multilateraler, wertebasierter Politik in den internationalen Beziehungen aufkündigen und innenpolitisch eine Demokratie ohne Adjektive propagieren bzw. eine Diktatur einführen. Aus liberaler Sicht ist das eine Enttäuschungsgeschichte, die schon oft erzählt worden ist. Wir fragen: Was sind die Konzepte, mit denen der Wandel auf differenzierte Weise analysiert werden kann? Wie ist er für verschiedene Fächergruppen anschlussfähig auf den Begriff zu bringen? „Universalismus“ und „Partikularismus“ ist ein Begriffspaar, das sich für die Analyse als ungemein aufschlussreich erweist. Es geht uns nicht um das schlichte Narrativ „vom Universalismus von 1989 zum Partikularismus der Gegenwart“, sondern um Überschichtungen, Widersprüche und Paradoxien. Wie vollzieht sich ein Übergang von universalistischen zu partikularistischen Ordnungen? Wie entstehen neue Universalismen? Das sind Fragen, die uns zusammen mit den Fellows interessieren.