Archäologische Objekte sind nicht selbsterklärend; vielmehr erhalten sie ihre Bedeutung durch Zuschreibungen, die wissenschaftlich und methodisch, aber auch willkürlich und spontan erfolgen können. So steht es allen frei, eine 2007 in der Rhone bei Arles gefundene Büste (siehe Foto links) für ein Bildnis des C. Julius Caesar zu halten, wie dies unmittelbar nach seiner Entdeckung geschehen ist. Aber vielleicht stellt er doch eher eine andere prominente Person dar, die in der Gegend von Arles aktiv war: etwa Hannibal, Cn. Domitius Ahenobarbus, Marius oder Ti. Claudius Nero, den Vater des Kaisers Tiberius? Auch die willkürliche Interpretation eines archäologischen Fundes darf als Inspiration zu einem historischen Roman dienen; problematisch wird es, wenn sie als Grundlage für wissenschaftliche Thesen oder gar für nationalistische Ideologien benutzt werden soll.
Methode statt Willkür: Klassische Archäologie erschließt materielle Artefakte
Dietrich Boschung | Idee Archäologie. Positionen und Konturen einer Wissenschaft
Aber niemand muss eine dieser Benennungen akzeptieren, solange sie nicht mit nachprüfbaren Argumenten überzeugend begründet wird. Erst wenn das gelingt, werden archäologische Objekte aller Art zu wichtigen Quellen, die historische Forschungen in vielen Bereichen zuverlässig ergänzen und vertiefen können. Die Klassische Archäologie hat für das antike Porträt systematisch Methoden zur Ordnung, Datierung und Interpretation entwickelt. Daraus ergibt sich für die Büste in Arles, dass sie nicht Julius Caesar darstellt, sondern einen Vertreter der lokalen oder der reichweiten römischen Elite aus den Jahrzehnten nach 50 v.Chr., dessen Namen und Biographie wir nicht kennen. Das macht den Fund vielleicht weniger spektakulär, aber bewahrt die Geschichtsschreibung vor falschen Gewissheiten.
Auch alle anderen materiellen Artefakte der Vergangenheit lassen sich nur durch archäologische Verfahren als historische Quellen von wissenschaftlichem Wert gewinnen. Wer die griechische und römische Antike, die unsere Kultur und viele andere bis heute grundiert, verstehen und kulturhistorisch erforschen will, wird auf die Klassische Archäologie mit ihren vielfach bewährten Kompetenzen zur Erforschung von material culture nicht ohne Verlust der Glaubwürdigkeit verzichten können.