L.I.S.A.: Die Teilung Europas infolge des Ende des Zweiten Weltkriegs scheint unausweichlich gewesen zu sein und bereits im alliierten Koalitionskrieg seit 1941 angelegt. Sehen Sie das auch so? War die Teilung Europas tatsächlich alternativlos? Anders gefragt: Inwiefern sind im Rahmen der Kriegspolitik der Anti-Hitler-Koalition bereits die Weichen für die europäische Nachkriegszeit, insbesondere mit Blick auf die Neuordnung Ost- und Ostmitteleuropas, gelegt worden? Welchen Anteil haben daran die alliierten Westmächte? Wie offen war andererseits die Politik der Sowjetunion bis 1945? Und welche Rolle kommt dabei vor allem der Konferenz von Jalta vom Februar 1945 zu?
Prof. Dülffer: Die Kriegskoalition gegen Deutschland, Italien und Japan war von ihrer Struktur her prekär: Die Sowjetunion erklärte Japan erst nach dem Ende des europäischen Krieges am 8. August 1945 den Krieg; eine förmliche Allianz gab es nur zwischen Großbritannien und der Sowjetunion. Die Exilregierungen vieler besetzter Staaten, zum Teil auf Militär gestützt, galten als Teil der Kriegskoalition und suchten Mitsprache auch für die Nachkriegsregelung. Zwischen den Großen Drei gab es ansonsten informelle Absprachen, die in den Konferenzen der Großen Drei in Teheran 1943, Jalta Februar 1945 und Potsdam Juli-August 1945 gipfelten. Die militärische Kriegskoalition von 26 Nationen (eben auch jenen des Exils) gegen Hitler-Deutschland nannte sich von ihrem Beginn an ab Anfang 1942 Vereinte Nationen. An der Spitze der Ziele dieser Koalition stand der gemeinsame militärische Sieg über die Deutschen. Von den dann erbrachten militärischen Leistungen primär der Großmächte bei der Befreiung Europas (von deutscher Herrschaft) musste wesentlich der jeweilige Anteil an der Gestaltung der Nachkriegsordnung abhängen.
Die Prinzipien von Machtpolitik und -erweiterung standen für Stalin im Vordergrund, während die Westmächte eine wertegestützte internationale Ordnung anstrebten, bei der es nicht um territoriale Erwerbungen gehen sollte, die sich aber nicht vermeiden ließen. Ausdruck dessen war die (im Sommer 1945 vollzogene) Neugründung der (zivilen) Friedensorganisation der Vereinten Nationen oder die - in Jalta verabschiedete - Erklärung über das befreite Europa. Kriegsvermeidung und künftige demokratische Ordnung standen hierbei im Vordergrund.
Diese unterschiedlichen Ansätze standen im Konflikt, der aber nicht von vornherein notwendig war und nicht so schnell in einen „Kalten Krieg“ eskalieren musste, wie er sich dann nach und nach tatsächlich entwickelte. Auch die Westmächte zeigten etwa in Jalta Einsicht in die sowjetischen militärischen Leistungen bei der Befreiung des eigenen Landes und von zunehmenden Teilen Ost(mittel)europas, die vollendete Tatsachen beim Neuaufbau dieser Staaten erlaubten, zumal den Briten und Amerikanern erst im Juni 1944 mit der Landung in Frankreich ein eigener entscheidender Kampfbeitrag zu Lande in Europa gelang.
Die unterschiedlichen Herangehensweisen nach der Eroberung von deutscher Herrschaft war klar, aber für die westlichen Großmächte Großbritannien und (seit Ende 1941) die USA auch unvermeidlich; Frankreich gewann seinen Großmachtstatus erst wieder nach der Befreiung des Landes. Die Staaten Ostmitteleuropas hatten wenig Chancen zur Mitgestaltung. Da sie jeweils durch die Sowjetunion von deutschen Herrschaft befreit wurden, lagen sie auch in deren Einflussbereich, den die Angloamerikaner letztlich nicht mitgestalten konnten - trotz der Bekundungen gemeinsamer demokratischer Werte.
Die Anglo-Amerikaner hatten bei absehbarem Sieg im europäischen Krieg sehr nachdrücklich den vermutlich noch länger andauernden ostasiatischen Krieg im Blick und konnten sich realistischerweise im Februar 1945 in Jalta kaum gegen die vollzogenen militärischen Befreiung Ostmitteleuropas von den Deutschen stellen, ebenso wie sie der Sowjetunion keine direkte Mitsprache bei der Befreiung Westeuropas - von Norwegen bis Italien - zugestanden.
Konflikte waren also vorprogrammiert, aber nicht in dem Maße oder der Gestalt unvermeidbar. Es gab Differenzen und Enttäuschungen im Westen vor allem an den mangelnden Möglichkeiten des Einblicks und der Mitgestaltung in Osteuropa, dann auch in Deutschland, auf sowjetischer Seite in der Frage von Reparationen, Wirtschaftshilfen oder gleichberechtigter Gestaltung der Weltpolitik, insbesondere wenn es um unterschiedliche Demokratievorstellungen ging.
Wichtig zu betonen ist es, dass es nicht primär die unterschiedlichen politischen Systeme von Westen und Osten oder deren territoriale Ordnungsvorstellungen waren, welche den ab 1947 voll entbrannten Kalten Krieg auslösten. Es war der Krieg, den das Deutsche Reich gegenüber ganz Europa, zumal gegenüber der Sowjetunion auslöste, der zu einem unmittelbaren Zusammentreffen und dann auch Zusammenprall der westlich-liberalen Staaten mit der kommunistischen Diktatur Stalins mitten in Europa führten. So gesehen: Der vom Deutschen Reich als Eroberungskrieg geführte Zweite Weltkrieg führte zum Zusammentreffen der Amerikaner, Briten und Sowjetrussen mitten in Europa und damit auch zu ihren nahen Konflikten, die im Kalten Krieg ausgetragen wurden.