Über die Geschichte der osmanischen Archäologie in den Jahren 1840 bis 1870 ist wenig bekannt - eine Zeit, in die erste Ausgrabungen, erste Ansätze zum Ausbau staatlicher Sammlungen und erste Verordnungen zum Umgang mit Altertümern fallen. Mit dieser unbekannten Vorgeschichte der osmanischen Archäologie beschäftigt sich der Vortrag des Historikers Edhem Eldem (Istanbul).
Die unerforschte Vorgeschichte der osmanischen Archäologie
Die osmanische Archäologie ist ab den 1880er Jahren gut dokumentiert, setzte doch zu dieser Zeit ein hoher Institutionalisierungsgrad unter Osman Hamdi Bey ein. Wie ging man jedoch an die ersten Ausgrabungsversuche heran? Wie schaffte man einen legalen Rahmen? Und was machte die erste staatliche Sammlung aus? Am 10. Februar 2015 sprach Dr. Edhem Eldem, Fellow an der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien in München, über diese noch wenig untersuchte "Vorgeschichte" der 1840er bis 1870er Jahre. Nicht nur, dass diese Phase der osmanischen Archäologie so wenig untersucht ist und oft lediglich Vermutungen über sie angestellt wurden, macht sie laut Eldem zu einer Übergangsphase. Gleichzeitig müsse bedacht werden, dass die Anfänge sehr zögerlich waren und es noch keine breite Öffentlichkeit gab, die sich für das Thema Archäologie interessierte. Viel interessierter hingegen waren die Europäer. Diese brachten zu Beginn des 19. Jahrhunderts einzelne antike Stücke außer Landes, die ihrer Ansicht nach gut in ihre eigene Sammlung passten. Selbst aktiv wurden die osmanischen Autoritäten erst, als Europäer begannen große Entdeckungen zu machen - wie beispielsweise die Überreste der Stadt Ninive.
Checkliste der Zivilisation
Im Februar 1846 schreibt die Augsburg Gazette, in Konstantinopel sei ein osmanisches archäologisches Museum eröffnet worden. Tatsächlich befindet sich dieses in der Hagia Irene, die seit Mitte des 15. Jahrhunderts als Waffenlager verwendet wird. Die ehemalige Kirche sammelt bereits alte Waffen - nun beherbergt sie in ihrem Atrium auch antike Gegenstände. Das Problem: die Sammlung ist konfus. Es gibt lange keinen Katalog und auch der Auftrag an die Provinzen, Gegenstände für das Museum auszugraben und bereitzustellen ist wenig spezifisch - sowohl, was die Grabungstechnik als auch was die Frage angeht, welche Gegenstände denn genau gesammelt werden sollen. Die wenig institutionalisierten Abläufe führen auch dazu, dass wir heute nicht genau wissen, was das Museum alles beherbergte. Der 1868 angestellte Versuch einer Katalogisierung bestand zudem oftmals aus raten: Woher kommen bestimmte Gegenstände eigentlich genau? Viele Gegenstände sind auf diese Weise bis heute nicht identifiziert. Wieso wollte man überhaupt ein Museum, wenn es dann so wenig strukturiert erstellt wurde, und wie Edhem Eldem sagt, auf diese Weise gar keinen richten Sinn hat? Der Historiker sieht den Grund in der Eurozentrierung der damaligen Zeit: Wollte man so "zivilisiert" wie Europa sein, musste man eine gewisse „Checkliste“ abarbeiten, die neben Universitäten und Bibliotheken eben auch ein eigenes Museum enthielt. Großen Erfolg hatte dieses Museum aber auch bei den Europäern nicht. Der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Touristenstrom sowie sich auf der Durchreise zum Krimkrieg befindende Soldaten besuchten lieber die Hagia Sophia oder den Palast des Sultans, da diese das Bild des Orients wiederspiegelten, das die Europäer bereits besaßen.
Die Umkehrung eines Gesetzes
Hinzu kommt ein weiteres Problem des Museums. Besagte die Gesetzeslage zunächst noch, dass gefundene antike Gegenstände dem osmanischen Staat gehörten und Großbritannien lediglich Anrecht auf Gegenstände hätte, die in doppelter Ausführung vorhanden waren, wurde dieses Gesetz in den 1850ern in sein genaues Gegenteil umformuliert. Während nun die Europäer massenweise Kulturgegenstände aus dem Land schafften, blieb kaum etwas für das eigene Museum zurück. Wie genau es zu diesem massiven Schwenk kam - nach der Antwort auf diese Frage sucht Eldem selbst noch. Schließlich wendet sich das Blatt in den Jahren 1868/69 noch einmal. Ein neues Gesetz wird auf den Weg gebracht, das beschließt, wichtige Kulturgegenstände in einem Museum zu sammeln. Man sieht ein, dass das bisherige Museum stark verbesserungswürdig ist und ruft daher einen Neubeginn aus. Zu diesem Zeitpunkt beginnt die Geschichte einer gut dokumentierten Sammlung.
Kontinuitäten?
Edhem Eldem merkt jedoch an, dass dieser Lerneffekt und die Prozesse der lokalen Archäologie heutztage von der türkischen Bevölkerung wie von Touristen kaum wahrgenommen werden. Die Proportionen der Personen, die die Hagia Sophia besichtigen und derer, die das Museum besuchen seien exakt gleich geblieben. Stattdessen sei das Panorama 1453, ein riesiges Schlachtengemälde der Eroberung Konstantinopels, die meistbesuchte Ausstellung in Istanbul. Eldem hofft, dass man in der Türkei nicht wieder auf dem Weg sei, in die Vorgeschichte der Geschichtsschreibung zurückzufallen.
Marie Grünter