Wer von fröhlicher Wissenschaft spricht, wird sehr bald mit dem Philosophen Friedrich Nietzsche und dessen gleichnamiger Schrift von 1882 konfrontiert. Das muss aber nicht zwingend sein, wie das neue Buch des Philosophen Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß zeigt. Darin geht es weniger um eine Auseinandersetzung mit Nietzsche, sondern vielmehr um eine Bestandsaufnahme der Wissenschaft heute - sowohl an Universitäten, aber auch in anderen Forschungseinrichtungen sowie im öffentlichen Gespräch. Kritiker vermissen dabei zunehmend die Freude an der Wissenschaft, die ihnen durch Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit genommen werde. Wo Professor Mittelstraß die fröhliche Wissenschaft noch findet oder gar vermisst, dazu haben wir ihm unsere Fragen gestellt.
"Die Freude an der wissenschaftlichen Arbeit ist nicht mehr selbstverständlich"
L.I.S.A.: Herr Professor Mittelstraß, einer Ihrer wichtigsten Forschungsschwerpunkte als Philosoph ist die Wissenschaftstheorie. Da verwundert es nicht, dass Sie zuletzt ein Buch mit dem Titel "Fröhliche Wissenschaft?" geschrieben haben. Der Verweis auf den Philosophen Nietzsche und dessen fast gleichnamige Publikation von 1882 ist deutlich, wenn auch hier mit einem Fragezeichen versehen. Inwiefern schließt Ihr Buch an Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" an, und welche Bedeutung kommt dabei dem Fragezeichen zu? Ist Ihnen bzw. ist der Wissenschaft insgesamt die Freude an der Wissenschaft vergangen?
Prof. Mittelstraß: Das Buch übernimmt Nietzsches Titel von 1882, aber es schließt nicht an seine philosophischen Konzeptionen an - weder der Form nach (Nietzsches aphoristische Schreibweise) noch dem Inhalt nach (Nietzsches Nachdenken über die Vorläufigkeit von Kunst und Wissenschaft). Was zum Ausdruck gebracht werden soll: Wissenschaft ist eine ernste Angelegenheit, aber sie siedelt in ihrem Denken und Tun nicht jenseits menschlicher Befindlichkeiten. Zu diesen gehört auch die Freude an der wissenschaftlichen Arbeit. Das Fragezeichen besagt, dass das wohl unter den gegebenen Umständen - ich meine den andauernden, häufig sehr unerfreulichen gesellschaftlichen Disput über Wissenschaft und ihre institutionellen Bedingungen - nicht mehr selbstverständlich ist. Leider.