Der Regisseur Kriegenburg hat in Frankfurt bisher nicht viel Fortune gehabt. Seine Goldoni-Inszenierung im Frankfurter Depot – der ausgelagerten Bühne des Schauspielhauses - wurde verrissen, von „Betrug“ an Goldoni und am Zuschauer wurde gesprochen. Wenn die Schauspieler, wie Hühner auf der Stange sitzend, skandieren: „Ich komm nach Haus, schau auf den Tisch, kein Fleisch, kein Fisch“, so mag man das noch lustig finden, wenn es allerdings zum Prinzip der Inszenierung wird, kann man sich ärgern. Auch Tschechows „Möwe“ fand – abgesehen von den Schauspielerleistungen - nur mäßigen Beifall. Lediglich die letzten zehn Minuten zeigten die Dichte und Atmosphäre eines Tschechow-Stücks.
Ödon von Horváths Sprache als Kasperltheater
„Glaube, Liebe, Hoffnung“ im Frankfurter Schauspielhaus
Dieter Hildebrandt: Ödön von Horváth. Reinbek: Rowohlt 1975. S. 25.. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons
Vielleicht wollte Kriegenburg es mit dem Horvath-Stück diesmal besser machen. Das ist ihm dieses Mal – auf die exzellenten Schauspieler werde ich noch zurückkommen - einerseits gelungen, andererseits wiederum nicht. Gelungen ist ihm ein kafkaeskes Arrangement: zombiehaft schwarz-weiß geschminkte Bürger, die wie ein Chor das maschinenhaft abschnurrende Schicksal der Hausiererin Elisabeth (Lisa Stiegler) begleiten, die Gelegenheitsprostituierte Maria (Franziska Junge), die hinreissend Bachs Kantate „Ich habe genug“ singt, in der ausgerechnet bei Jesus Friede und „stille Ruh“ im Tod gesucht wird (eine Parodie?), eine Ansammlung von Schuhen und Taschen vor dem „Wohlfahrtsamt“ (eine Assoziation an Auschwitz?). Das alles ist beklemmend, man kann es sogar als gelungen ansehen, die Frage ist nur, was das Ganze mit Horvaths Stück zu tun hat. Es hätte auch zu einem anderen Stück gepasst. Mit dem Schicksal Elisabeths, die wegen eines fehlenden Wandergewerbescheins in die Mühlen der Justiz und an einen Richter ohne Gnade gerät, hat es wenig zu tun. Das Prinzip der Beliebigkeit der Goldoni-Inszenierung re-loaded.
Horvaths Stück lebt – wie jedes gute Theaterstück – von seiner Sprache. Horvath ist der Meister des Jargons, des Gemeinplatzes, der Anonymität des „man“, in den sich Gift und Bosheit verbergen und sich zugleich offenbaren. Elisabeth rennt nicht nur gegen Paragraphen. sondern auch gegen die Macht des Jargon an und reproduziert ihn teilweise selbst. Elisabeths „Verlobter“, der Schupo Klostermeyer (Lukas Rüppel) bringt die Brutalität der Gemeinplätze, mit der sich Horvaths Figuren durchs Leben schlagen, auf Sätze von erschreckender Gefühllosigkeit. Elisabeth erinnere ihn an eine „liebe Tote“, seine verstorbene Braut: „Wir waren nämlich ein Herz und eine Seele. Aber sie hatte es mit der Leber zu tun und jetzt geht mir direkt etwas ab.“ In zwei knappen Dialogsätzen zwischen Elisabeth und ihrem „Verlobten“ wird der gnadenlose Mechanismus, der Elisabeth in den Tod treibt, transparent: „Elisabeth: Es müssen halt immer viele Unschuldige dran glauben. Schupo: Das lässt sich nicht umgehen in einem Rechtstaat“.
Von derartigen Sätzen lebt das Stück. Die Aufgabe einer kongenialen Regie wäre gewesen, Horváths Stück auf seine Sprache hin zu prüfen; auf ihre Ambivalenzen, ihre Zwischentöne, ihren entlarvenden Jargon. Die Sprache hätte das Stück getragen, auch ohne den Versuch, es durch Regieeinfälle aufzupeppen, auch ohne Kriegenburgs „Zombiekasperltheater“ (FAZ 22.9.2014). Das Kasperltheater fügt dem Stück nichts hinzu, sondern verwässert und verdunkelt die geschliffene Bosheit des Textes, Bosheiten, wie sie in späterer Zeit in den Tiraden von Qualtingers „Herrn Karl“ wieder auftauchen Und schließlich lässt Horvárth selbst an seiner realistischen Literaturauffassung keinen Zweifel, Seine Stücke seien „Spiegelbilder“ der Menschen und der Gesellschaft, keine „Juxspiegelbilder“.
Hinzu kommt, dass das Stück selbst mit einigen dramaturgischen Problemen behaftet ist. Dass Elisabeth, nachdem sie nach ihrem Selbstmordversuch gerettet wurde, zunächst einmal munter weiter redet (sie sei ins Wasser gegangen, weil „ich nichts mehr zum Fressen habe“, nicht etwa wegen ihres Verlobten, der sie verstößt) bis sie plötzlich stirbt, ist nicht sehr plausibel. Woran ist sie gestorben: am Tod ihrer Hoffnung? Auch hier wirkt der Regieeinfall, ihren Sprung ins Wasser dem begriffstutzigen Publikum dadurch nahe zubringen, dass einige Wasserflaschen über ihrem Kopf ausgeschüttet werden, bestenfalls überflüssig. Hier kopiert Kriegenburg im Übrigen andere Inszenierungen. Auch die Geschichte mit Elisabeths Wandergewerbeschein, sozusagen das „fatale Requisit“ des Stückes im Sinne des „Schicksalsdramas“, besitzt eine gewisse Ungereimtheit. Elisabeth hatte nämlich bereits einen gültigen Gewerbeschein, jedenfalls behauptet ihre Arbeitgeberin Prantl dies, ohne dass Elisabeth ihr widerspricht. „Die Prantl: Aber ihren Wandergewerbeschein haben sie doch von mir. Elisabeth: Das schon“. – ohne ihn freilich schon bezahlt zu haben, Wenn sie dann zwei Sätze weiter sagt, sie habe Geld, das sie von einem Verehrer (dem Präparator) geliehen bekommen hat, benötigt, um ihre Geldstrafe wegen eben eines fehlenden Gewerbescheins zu bezahlen, den sie angeblich aber schon einmal hatte, dann ist dies zumindest verwirrend (2.Bild, 3.Szene).
Aber darum es geht in dem Stück letztlich nicht, sondern um die Sprache. Und die wird – soweit dies im Rahmen der Inszenierung möglich ist - von allen Schauspielern bravourös gemeistert. Die gilt insbesondere für Lisa Stiegler, die alle Register der Hilflosigkeit und Ohnmacht bis zu Schnoddrigkeit und aggressiven Aufbegehren ziehen kann, ihren Widerpart Klostermeyer (Lukas Rüppel), der eindruckvoll die Rolle des gleichermaßen sentimentalen wie bösartigen Staatsdieners spielt, für Fransziska Junge und Sascha Nathan (als Frau Prantl). Und nota bene, für Josefin Platt (als Frau Amtsgerichtsrat), die erfahrene Burgschauspielerin. Schade nur, dass sie nicht Wienerisch sprach.