Wo stehen wir mit dem Fach Kunstgeschichte? Wohin geht die Reise, welche Weichen können gelegt und welche Wege von Seiten der Studierenden als auch Lehrenden eingeschlagen werden? In Stuttgart setzen sich die Teilnehmenden des 36. Kunsthistorikertags genau mit diesen Fragen zur Perspektive des Kunstgeschichtsstudiums kritisch auseinander.
Nachwuchswissenschaftler*innen, Lehrende und Berufstätige finden sich ein, um zu Themen im Rahmen des Nachwuchsforums zu diskutieren, die vielzähligen Veranstaltungen zu „Form Fragen“ und das angesichts der aktuellen Lage kurzfristig eingerichtete „Ukraine-Forum“ zu besuchen. Auftakt bildet am Mittwoch die Veranstaltung „Formen des Übergangs – Perspektiven des Kunstgeschichtsstudiums“. Eine abschließende offene Diskussionsrunde ist für Samstag angesetzt. Thematisch passend werden an den Tagen dazwischen Foren zu Forschungsförderung, Museen und Hochschulen/ Forschungsinstituten angeboten.
Die Auswahl der Redner*innen für die Mittwochsveranstaltung zeigt bereits deren zentrales Anliegen, den Mehrwert von Kooperationen zu verdeutlichen: Lehrbeauftragte, Künstler*innen und Kurator*innen sprechen über die fruchtbare Verbindung von Theorie und Praxis. Anhand von universitären und nebenberuflichen Beispielen wird deutlich, dass eine frühe Netzwerkbildung und außeruniversitäres Eigenengagement für spätere Projekte ausschlaggebend sind. Die Zusammenarbeit von Künstler*innen und Kunsthistoriker*innen schafft dementsprechend neue Möglichkeiten. Durch die gemeinsame Entwicklung von Ideen entsteht ein produktiver Austausch, Studierende können voneinander profitieren. Sie erlangen durch gemeinsame Ausstellungsprojekte oder Gesprächsveranstaltungen neue Fähigkeiten abseits des Studiums. Kompetenzen bezüglich der immer wichtiger werdenden kollaborativen Arbeitsansätze werden ausgebaut. Es gibt bereits Bestrebungen kuratorische Arbeit oder künstlerische Forschung in universitäre Curricula aufzunehmen. Durch Gastvorträge können alternative Berufsperspektiven aufgezeigt und Beziehungen forciert werden. Gleichzeitig wird in der Diskussion klar, dass Kooperationen mit Leben gefüllt werden müssen und ebenso meist Studierende in Eigenengagement unentgeltlich Projekte außeruniversitär erarbeiten. Hier könnte auf eine Verbesserung von universitären Strukturen gepocht werden: denn wer wird bereits früh bei dieser Netzwerkbildung, die so entscheidend für die spätere Berufsperspektive ist, ausgeschlossen? Studierende, die ihr Studium selbst finanzieren und auf Nebenjobs angewiesen sind bzw. in prekäre Lebenslagen geraten.
Die in Panel 2 wohlgewählte Rednerin Dr. Kristin Eichhorn ergreift diesbezüglich unverblümt das Wort und macht auf die weiteren (Anti)-Perspektiven aufmerksam, die jeder kennt und doch nicht öffentlich sagt: befristete Beschäftigungen, häufige Ortswechsel (die auch den Aufbau von Kontakten erschweren), sowie „eingepreiste Überstunden“ in Teilzeitanstellungen und kaum Perspektiven bis ins hohe Alter. Dies führt zu einer finanzielle Schieflage während des Studiums und ebenso danach. Der Kunsthistorikertag wird hiervon allerdings nicht getrübt, denn vielmehr motiviert Kristins Eichhorns Engagement und ihre offene Herangehensweise: sie berichtet von der Aktion „95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitgesetz“ und von ihrem in dieser Woche erscheinendem Buch „#IchbinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland“ (mit Bahr Amrei und Sebastian Kubon als Co-Autoren). Es handelt von einer Aktion auf Twitter, in der Wissenschaftler*innen von Überbelastung und Prekarität berichten, die in der Publikation mit der Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen in Forschung und Lehre präsentiert werden. Kristin Eichhorn konnte Veränderungen erzielen, motiviert damit den Mittelbau miteinander ins Gespräch zu kommen und veranschaulicht, dass auf schwierige Arbeitsbedingungen bereits mit einem Tweet von zuhause aus aufmerksam gemacht werden kann.
Daraufhin scheint nur logisch, dass im darauffolgenden Forum für Hochschule und Forschungsinstitute sich das Publikum nach kurzer Zeit rege in die Diskussion einbringt. Das Podium besteht nur aus Professor*innen der Kunstgeschichte, deren Perspektive notwendigerweise um die des wissenschaftlichen Nachwuchses erweitert werden muss, wenn es um grundsätzliche und aktuelle Fragen des Fachs der Kunstgeschichte und ihrer Vermittlung geht. Wie kann der gewünschte Austausch von Praxis und Theorie stattfinden? Und wie kann globale und visuelle Kultur abgebildet werden? Das Fach verändert sich, es weitet sich aus und soll als offenes Feld belassen werden, so der Kunsthistoriker Prof. Dr. Ulrich Pfisterer als Podiumsgast. Gleichzeitig wird klar, dass Kompetenzen hinzugeholt werden müssen, beispielsweise durch Lehraufträge von Expert*innen außerhalb der Universität. Allerdings scheint sich das Podium einig: die Uni denkt in Forschungsfragen und beantwortet Forschungsfragen, d.h. individuelle Praxiserfahrung oder Kuratieren hat dort keinen Platz. Es bleibt offen, wie genau weiterführende Kompetenzen in Studienordnungen integriert werden und wie sich Veränderungen des Fachs adäquat im Lehrplan zeigen können. Ebenso wird der Anspruch, die Kunstgeschichte mehr ins Bildungssystem rückzukoppeln, laut. Ein weiterer wichtiger Anhaltspunkt wäre die deutschlandweite Vernetzung kunsthistorischer Institute. Studierende könnten an Interessenschwerpunkten abgeholt und überregional vernetzt werden. Das Lehrangebot erhöht sich, indem digitale Angebote für andere Institute geöffnet werden und eine Anerkennung von Scheinen angestrebt wird.
Im Weiteren zeigt sich in der Diskussion zum Forum Museen, dass die musealen Institutionen ins wissenschaftliche Gespräch stärker einzubeziehen sind. Darüber hinaus befindet sich die Museumsdefinition, wie die akademische Lehre, im Wandel. Die Museen richten sich neu aus, hinterfragen ihre traditionelle Aufgabe des Sammelns und Bewahrens und erweitern sie mit den neuen Säulen der Nachhaltigkeit und Diversität. Ein gemeinsamer, inhaltlicher Austausch aller beteiligten Akteur*innen ist durch das vielversprechende Rahmenprogramm des Kunsthistorikertags in Stuttgart und die vielzähligen Gespräche vor Ort, die dank der Gerda-Henkel Reisestipendien von Studierenden und Nachwuchswissenschaftler*innen überregional ermöglicht wurden, ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Rahmenprogramm, das nicht zum ersten Mal auf dem Kunsthistorikertag auftaucht. Allerdings rückt es nun systematischer in den Fokus und kündigt mit seiner abschließenden, offenen Diskussionsrunde an, dass dies nur der Beginn einer Reise sein wird. Die finale Diskussionsrunde stellt vor allem die naheliegende Frage in den Raum: wie könnte darüber hinaus ein nachhaltiger Austausch geschaffen werden? Die Diskussion ist nicht an ihr Ende gelangt: ein erstes Ergebnis wurde erzielt, indem ein Netzwerk im Anschluss gegründet wird, in dem die angesprochenen Themen weiterverfolgt werden können. In einem sind sich Panellist*innen und Nachwuchs einig: einerseits sind, ohne den aktiven Austausch und die Vernetzung, Veränderungen nicht zu erreichen und andererseits ist die eigenständige Vernetzung entscheidend für zukünftige Perspektiven nach dem Studium. Ebenfalls setzen hier die Beteiligung und Anwesenheit des neuen Vorstands und Umbenennung des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker in „Deutscher Verband für Kunstgeschichte“ nicht nur wichtige Zeichen, sondern bringt auch die nötigen Ressourcen eines Verbands mit überregionaler Reichweite und großer Mitgliederzahl mit. In diesem Sinne sind Impulse gesetzt und neue Wege aufgezeigt. Engagierte Teilnehmer*innen des Kunsthistorikertags können tatkräftig an Nachwuchsthemen mitarbeiten, Anliegen konkretisieren und hoffentlich bald die weiteren Ergebnisse im Verband nachverfolgen. In diesem Sinne bedanke ich mich herzlich bei der Gerda Henkel Stiftung für die großartige Unterstützung, die es mir ermöglichte, den Kunsthistorikertag zu besuchen sowie nun Teil des neuen Netzwerks zu sein. Vielleicht könnte dieser Austausch 2024 auch bei Studierenden durch eine entsprechende Lehrveranstaltung mit Reise zum Kunsthistorikertag nach Erlangen weiter gefördert werden. Eine stärkere Vernetzung von Kunsthistoriker*innen, Volontär*innen und Wissenschaftler*innen in Deutschland ist maßgeblich, um Orientierung zu bieten, Veränderungen zu schaffen und Thematiken des wissenschaftlichen Nachwuchses sichtbar zu machen.