Die Kunstgeschichte im Zeichen des Wandels und des Umbruchs - eine Frage der Form? Unter dem Titel ‚Form Fragen‘ widmete sich der diesjährige 36. Kunsthistorikertag den vielen unterschiedlichen Aspekten von Formentwicklung und -prozessen innerhalb der Kunstgeschichte fachlich, gesellschaftlich wie auch politisch. Dieser Bericht versucht die fachpolitische Ebene innerhalb der Kunstgeschichte widerzuspiegeln, wie sie auf den beiden Nachwuchsforen (23.+26.03.) und dem Forum Hochschule(25.03.) der Konferenz diskutiert wurde. Da sich wiederkehrende Fragestellungen und Aspekte bzgl. Lehre und Zugang abgezeichnet haben, sollen diese in Zusammenhang gebracht werden
Das Politische in der Kunstgeschichte: von Kanonfragen im Studium bis zum Zugang zu kunsthistorischer Forschung – die fachpolitische Dimension des 36. Kunsthistorikertags
Yasmin Frommont | Bericht vom XXXVI. Deutschen Kunsthistorikertag in Stuttgart
In zwei Foren lud das Nachwuchs-Organisationsteam zu Fragen und Formen des Kunstgeschichtsstudiums und der beruflichen Orientierung ein. Da in Stuttgart zum ersten Mal nicht nur die universitäre Kunstgeschichte, sondern auch die Kunstakademie Gastgeberin war, sollte in den Tagen immer wieder auch die Zusammenarbeit zwischen Kunsthistoriker*innen, Künstler*innen und Architekt*innen diskutiert werden.
Das erste Podium widmete sich Fragen wie:
Sollte das Studium der Kunstgeschichte und der Kunst zusammen gebracht werden? Kann im Kunstgeschichtsstudium bereits ein Austausch zwischen Studierenden und Künstler*innen gefördert werden und werden dadurch wechselseitige Impulse erzeugt? Was kann die Kunstgeschichte von den Kunstschaffenden lernen?
Das Studium der Kunstgeschichte sei häufig geprägt von Einzelarbeit. In der Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden, könne kollaboratives Arbeiten erfahren und gelernt werden – was unabdingbar sei, um von den alten Hierarchien wegzukommen und neue Perspektiven zu entwickeln. Um langfristig Austausch und Kooperation im engen Zeitplan des Bachelor/ Master Studiums zu ermöglichen, bräuchte es eine Verankerung in den Studienplänen und die Zusicherung von der Anrechenbarkeit von Kursen und Projekten. Freiwilliges Engagement sei zwar unabdingbar für Erfahrungen in bspw. der kuratorischen Praxis, bürge aber die Gefahr, dass diejenigen ausgeschlossen werden würden, die nicht über Zugänge zu Künstler*innen oder Institutionen verfügen oder durch einen Nebenjob schlichtweg keine Zeit haben sich auch noch ehrenamtlich einzubringen. Es stellt sich die Frage, wer Kunstgeschichte überhaupt studieren und anschließend auch darin arbeiten könne. Daran anschließend diskutierte das zweite Podium über die Problematiken des Berufseinstiegs und den strukturellen Hindernissen, die eine Arbeit im Fach nach dem Studium erschweren. Die Podiumsteilnehmerinnen nutzten das Forum um den Studierenden im Publikum Mut zuzusprechen und aus ihren eigenen Erfahrungen zu berichten. Eindrücklich in Erinnerung geblieben ist der Apell von Yvonne Schweizer: „Gründet eure eigenen Netzwerke!“ Kontakte blieben über Jahre erhalten und Kommiliton*innen werden zu den engsten Kolleg*innen – auch entgegen der leider noch häufig vertretenden Ellebogenmentalität in den Geisteswissenschaften. Gemeinsames Agieren und Kommunizieren sei schließlich auch wichtig, um die Wichtigkeit des eigenes Faches und der Arbeit zu verdeutlichen. Kunst und Kultur haben keine gute Lobby und die Politik (und damit häufig auch Geldgeber) hätten einfach keine Vorstellung, was wir machen.
Auch wenn sich Systeme versuchen selbst zu erhalten und eine Veränderung schwierig sei (Paula Kohlmann), sind Veränderungen von Innen möglich und nötig (Yvonne Schweizer). Die Handlungsmöglichkeiten müsse man suchen und nutzen. Manchmal reicht auch nur ein Tweet (Kristin Eichhorn).
Doch nicht nur auf dem Nachwuchsforum wurde über die Form des Kunstgeschichtsstudium diskutiert, sondern auch im Forum Hochschule und Forschungsinstitute. Unter dem Titel „Aus der Form geraten? Zur Situation der universitären Lehre im Fach Kunstgeschichte“ diskutierten neben Johannes Grave und Iris Wenderholm auch Charlotte Klonk und Ulrich Pfisterer auf dem Podium mit Barbara Welzel und Michael Lüthy im Publikum. Die Aufteilung auf Podium und Publikum der Diskutant*innen war nicht ganz ersichtlich, ebenso wenig wieso bei einer Diskussion um Lehre keine Vertretungen aus dem Mittelbau oder der Studierendenschaft miteinbezogen worden sind.
Der Verband präsentierte zu Beginn die Ergebnisse einer Umfrage an einigen Kunsthistorischen Instituten zur Lehre. So sei zu beobachten, dass die Studierenden sich mehr Praxisbezüge im Studium wünschten oder das Exkursionen häufig zu den Schlüsselveranstaltungen im kunsthistorischen Studium gehörten. Auch bei Kanon Fragen sei deutlich geworden, dass die aktuellen Diskussionen um diesen ins Leere laufen würden, wenn sich der Diskurs nicht auch in der Lehre wiederfindet. Es ist zu fragen, wie sich die Berührungspunkte zwischen Aktualität von Lehre und Interesse der Studierenden gestalten lassen. Ulrich Pfisterer schlägt eine „Homogene Schwammigkeit“ als Methode vor, um auf aktuelle Debatten zu reagieren, woraufhin Barbara Welzel in die Diskussion einsteigt: Das Fach hätte sich viel zu sehr verengt auf wenige Gegenstandsbereiche. Studienordnungen (und auch der Kanon) können hinterfragt und auch angepasst werden. In der jetzigen Form „leisten wir uns eine Kunstgeschichte ohne die Gesellschaft oder die Bildungslandschaft mitzudenken.“ Nach Welzel müsse auch über die gesellschaftliche Verankerung von Objekten gesprochen werden und damit einhergehend stünde die Frage der Relevanz im Raum.
Was ist die politische Dimension von Kunstgeschichte? Welche Verantwortung haben Kunsthistoriker*innen in aktuellen Gesellschaftsdebatten? Und wie können Studierende darauf vorbereitet werden?
Mit Öffnung der Fragerunde aus dem Publikum nimmt die Diskussion im Forum Fahrt auf: es werden grundlegende Fragen der Lehre und des Studiums zur Debatte gestellt und auffallend viele Nachwuchswissenschaftlicher*innen und Studierende beteiligen sich. Immer wieder kritisiert wird die Form des Podiums nur bestehend aus Professor*innen, sodass schließlich zwei der Podiumsteilnehmer*innen das Podium verlassen und sich in die Reihen des Publikums setzen. Fragestellungen aus dem Nachwuchsforen wie
„Wer kann eigentlich Kunstgeschichte studieren? Wer kann forschen? Wer hat Zugang zur Kunst? Wer bestimmt den Kanon? Wie können die Arbeitsbedingungen verbessert werden?“
tauchen erneut auf und machen deutlich, dass eine feste Nachwuchsvertretung innerhalb des Verbandes wichtig wäre. Über die Berufsgruppen hinweg lassen sich Themen und Probleme ausfindig machen, die den Mittelbau, Volontär*innen, Doktorand*innen wie auch Studierende gleichermaßen beträfe und eine eigene Vertretung innerhalb des Verbandes und des Vorstandes rechtfertigen würde.
Im Anschluss an die Diskussion verweist Johannes Grave auf die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zu den Aspekten der Lehre, wer Interesse an einer Beteiligung hätte, könne sich an ihn wenden.
Die Diskussionen in den Foren haben bei vielen einen nachwirkenden Eindruck hinterlassen. Auf der Mitgliederversammlung wurde nicht nur nach jahrelanger Namenssuche der Name des Verbandes mit überwältigender Mehrheit in „Deutscher Verband für Kunstgeschichte“ geändert, sondern auch ein neuer Vorstand mit zwei neuen Vorsitzenden gewählt. In ihrer Vorstellung als 1. Vorsitzende macht Kerstin Thomas deutlich, dass sie die Forderungen des wissenschaftlichen Nachwuchses gehört habe und sich für dessen Förderung und Unterstützung einsetzen möchte. Thomas setzte diese Ankündigung auch direkt um und erschien gemeinsam mit dem neuen Vorstand im zweiten offenen Plenum des Nachwuchses am Samstag. Neben dem Angebot, dass der Vorstand gemeinsam mit Vertreter*innen das Nachwuchses im regelmäßigen Gespräch bleiben möchte, möchte dieser aber auch proaktiv werden und auf Organisationen und Vernetzungen aus der Studierendenschaft, den Volontär*innen wie auch den Doktorierenden zugehen.
Auf dem diesjährigen Kunsthistorikertag trat der wissenschaftliche Nachwuchs viel deutlicher in Erscheinung als in den vergangenen Konferenzen. Das mag daran liegen, dass es mehr Reisestipendien für Studierende und Doktorierende gab, die einen Besuch ermöglichten. Es kann aber auch an der zunehmenden Vernetzung untereinander während der letzten zwei Jahre in Gruppierungen wie Kunstgeschichte Inklusiv, Das Ende der Kunstgeschichte, Junge Kunstgeschichte oder an Fächerübergreifenden Diskussionen wie #IchbinHanna auf Twitter gelegen haben, dass sich das Fach zu politisieren zu scheint.
Resümierend scheint sich die Kunstgeschichte tatsächlich im Umbruch zu befinden. Und das ist gut so. Damit sich das Fach in den aktuellen Diskussionen der Zeit positionieren kann, braucht es neue Perspektiven und eine ständige Selbstreflektion auf allen Ebenen. Welche Formen die Kunstgeschichte annehmen wird, zeigt sich in der Zukunft anhand des Engagements ihrer Akteur*innen.