Die "humanitäre Intervention" gehörte Anfang der 1990er Jahre zum oft gehörten Handlungsrepertoire in der internationalen Politik. Die Begründung und Rechtfertigung für das militärische Eingreifen in das Hochheitsgebiet eines anderen Staates war und ist dabei der Schutz von Menschen in einer humanitären Notlage. Was aktuell und neu anmutet, reicht tatsächlich tief ins 19. Jahrhundert zurück, wo die historischen Wurzeln der "humanitären Intervention" zu suchen sind. Der Historiker Prof. Dr. Fabian Klose von der Universität zu Köln hat diese zurückverfolgt und die Ergebnisse ihrer Erforschung 2019 in seiner Habilitationsschrift publiziert. Mehrfach ausgezeichnet ist die Arbeit nun auch in englischer Übersetzung erschienen. Wir haben das zum Anlass genommen, um Professor Klose unsere Fragen zur Entstehungsgeschichte und zur Praxis der "humanitären Intervention" zu stellen.
"Praktik und Theorie der humanitären Intervention reichen weit ins 19. Jahrhundert zurück"
L.I.S.A.: Herr Professor Klose, Sie lehren an der Universität zu Köln "Internationale Geschichte und Historische Friedens- und Konfliktforschung des 19. und 20. Jahrhunderts". Zuletzt ist Ihre bereits 2019 publizierte und mehrfach ausgezeichnete Habilitationsschrift "In the Cause of Humanity" auch in englischer Übersetzung erschienen. Sie haben offenbar mit Ihrer Arbeit international einen Nerv in Wissenschaft und Gesellschaft getroffen. Woher rührt Ihr Interesse an der Geschichte der "Humanitären Intervention"? Welche Fragen haben Sie dazu geführt?
Prof. Klose: Humanitäre Interventionen, also das militärische Eingreifen in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates zur Hilfe von Menschen in einer humanitären Notlage und zur Verteidigung humanitärer Normen, gehören angesichts diverser weltweiter Krisenszenarien sicherlich zu den umstrittensten und kontrovers diskutieren Themen der internationalen Politik. Das Konzept wird dabei oft als ein als völlig neuartiges Phänomen charakterisiert, das sich erst nach dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er Jahren herauszukristallisieren begann. Aus meiner Sicht als Historiker greift diese Vorstellung allerdings deutlich zu kurz, denn die Praktik und Theorie der humanitären Intervention verfügt in der Tat über eine weitaus längere Geschichte, die bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Im Zentrum meines Interesses standen daher Fragen nach historischen Entwicklungen und Interpretationen dieses Konzepts, und zwar nicht nur im regionalen, sondern auch im globalen Kontext. Im Bereich des Humanitarismus, des Imperialismus und des Völkerrechts empfand ich dabei den Blick auf die diversen Verbindungslinien vom 19. ins 20. und schließlich ins 21. Jahrhundert als besonders reizvoll und gewinnbringend. Insofern unterstreicht das Thema meines Erachtens gerade auch die Bedeutung des 19. Jahrhunderts für unser Verständnis und unsere Interpretation internationaler Politik in der heutigen Zeit.