L.I.S.A.: Der Ansatz, mit neuen (technischen) Methoden die Natur „in den Griff zu bekommen“, sie zu beherrschen, ist vor allem ein typisch moderner Ansatz, den man vielleicht unter „technical engineering“ fassen könnte. Was aber, wenn die Natur sich nicht kontrollieren lässt? Ist es in besonderen Fällen vielleicht sogar eher ratsam, Gebiete, die regelmäßig beispielsweise von Erdbeben heimgesucht werden, aufzugeben, sie zu verlassen, sie für unbewohnbar zu erklären und der Natur zu überlassen? Kurzum: Wo endet der optimistische Glaube an die Bezwingbarkeit der Natur? Welches Risiko ist noch vertretbar?
Prof. Hannig: Dieser Ansatz, dieses Denken ist in der Tat sehr typisch für die Moderne, auch wenn wir bereits in der Vormoderne einige Beispiele finden, die in dieses Denkmuster passen. Im 19. Jahrhundert hatte der Ansatz, die Natur technisch beherrschen zu wollen, Konjunktur, Schutz durch Beherrschung lautete das Motto. Getrieben von diesem Denkansatz wurden riesige Flächen trockengelegt, Flussläufe „korrektioniert“, wie man damals sagte, und Staudämme errichtet. Im 20. Jahrhundert wurde dieser Trend gebremst, nicht zuletzt im Zeichen moderner Umweltpolitik und neuer ökologischer Ansätze. In Form des Geoengineering setzte er sich zum Teil aber auch fort. Anstatt Flüsse zu korrigieren, renaturierte man sie, spielte damit aber auch nur Natürlichkeit vor. Die Einsicht, dass sich die Natur nicht in dem Maße kontrollieren lässt, wie man lange Zeit glaubte, folgte spätestens mit den nächsten großen Katastrophen.
Bereits Imanuel Kant fragte in seinen Abhandlungen über Erdbeben, warum die Menschen nach so furchtbaren Katastrophen wie dem Erdbeben von Lissabon (1755) ihre Städte genau an den Orten wieder aufbauen wollten, von denen sie wüssten, dass sie regelmäßig unter Erdbeben zu leiden haben. Auch heute wird diese Frage natürlich immer wieder gestellt, und ich halte sie ebenfalls für reichlich zynisch. Denn oftmals bleibt den Menschen keine andere Wahl. Wir landen damit wieder dort, wo wir angefangen haben, bei den sozialen Ungleichheiten. Das Leben in Risikozonen ist häufig günstig, Haus- und Wohnungspreise sind niedrig. Und so setzt sich ein fataler Zyklus fort. Nicht vergessen sollten wir die Verwurzelung der Menschen. Vielen ist das Leben in ihren Heimatorten wichtiger als der Schutz vor Naturgefahren, selbst wenn sie könnten, wollen sie nicht weg.