L.I.S.A.: Wie hat sich das standardisierte Wissen über den Rhein auf die Rheinschifffahrt, die Rheinschiffer und die Rheinanrainer ausgewirkt? Brachte es einen Nutzen? Entstand dadurch aber vielleicht auch neues Konfliktpotential mit neuen Konkurrenzen?
Dr. Bennemann: Eine gute Frage, die man gar nicht so gebündelt beantworten kann, sondern sich einzelne Ebenen anschauen muss. Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei diesem Wissen um solches handelte, das explizit für die Wasserbauverwaltungen der Mitgliedsstaaten gemacht war – es ging um die Planung und Bewertung von Baumaßnahmen am Fluss und deren Einfluss auf die Schiffbarkeit und eine Vergleichbarkeit der Anrainerstaaten untereinander. Dies ermöglichte gemeinsames Handeln. Für die Rheinschiffer war dieses Wissen also mittelbar wichtig, aber man darf nicht davon ausgehen, dass Schiffer nun eine Rheinkarte im Maßstab 1:20.000 verwendeten, um über den Fluss zu navigieren. Hier war das lokale Wissen über die Schiffbarkeit einzelner Flussabschnitte wichtiger, wie zum Beispiel die Lage von Sandbänken oder Riffen in Abhängigkeit vom Wasserstand. Dieses wurde durchaus von den Verwaltungen genutzt, aber war hierarchisch untergeordnet und hatte eine dienende Funktion gegenüber dem Ziel, die Schiffbarkeit insgesamt zu verbessern.
Die Frage nach den Konkurrenzen kann man auf mehreren unterschiedlichen Ebenen beantworten: Die durchgreifenden Flusskorrektionen des 19. Jahrhunderts bedrohten durchaus andere Nutzer entlang des Flusses, so zum Beispiel der Winzer im Rheingau, die durch die Regulierung der Strecke zwischen Mainz und Bingen ein Absinken des Wasserspiegels befürchteten. Die haben sich auch an die Zentralkommission gewendet und auf die eigene Situation hingewiesen.
Eine zweite, hiervon völlig verschiedene Ebene der Konkurrenz, ist eine symbolische: Man kann sich ja durchaus fragen, wofür man eigentlich die Länge eines Flusses kennen muss abseits von Zollfeststellungen. Mir fällt da nicht so viel ein außer dem Vergleich mit anderen. Für Preußen ist es insofern wichtig, als dass über den Anteil an der gesamten Länge des schiffbaren Rheins auch das eigene politische Gewicht innerhalb der Kommission begründet wird, eine genaue Zahl benötigt man hierfür aber auch nicht. Die kartographische Erfassung der eigenen Rheinstrecke, bei der Beachtung damaliger Qualitätsmerkmale für Flusskarten, war aber auch ein prestigeträchtiges Unternehmen, das die Leistungsfähigkeit der eigenen Verwaltung gegenüber anderen Staaten demonstrierte und die Beherrschung des Territoriums untermauerte. Es ist also auch ein Ausweis von Fortschritt. Auf der anderen Seite konnten Karten so – wie zum Beispiel im Falle eines gemeinsamen Projektes von Baden und Frankreich – auch als Akt der Verständigung verstanden werden. Dem Wissen kommt also ein symbolischer Nutzen über die wasserbautechnischen Aspekte hinaus zu.