L.I.S.A.: In der Nationalismusforschung sind mit dem Prozess der Nationenbildung eher andere gesellschaftliche Felder verbunden – beispielsweise Politik, Kultur, Sprache oder Kommunikation. Die Konferenz beschäftigte sich stattdessen mit einer konkreten Sportart.
Dr. Herzog: Sprache und Sport sowie andere Kulturfelder können durchaus gemeinsam zu Instrumenten der Nationenbildung werden. Der katalanische Separatismus manifestiert sich nicht nur im Stadion des FC Barcelona, sondern auch in Institutionen, die sich der Erforschung, Pflege und Verbreitung der katalanischen Sprache widmen. Johann Gottfried Herder hatte bereits im 18. Jahrhundert die Bedeutung der Sprache für die kulturellen Unterschiede der Völker herausgearbeitet. Diese Ideen haben nicht zuletzt auch die politische Romantik des sezessionistischen Katalanismus befeuert.
Ein anderes Beispiel ist die Republik Irland. Der irische Nationalismus hat nicht nur Volksmusik und -tänze, sondern auch die gälische Sprache und gälische Spiele als Instrumente des nation-building propagiert. Für die Organisation nationaler Sportwettkämpfe wie Hurling oder Gaelic Football wurde die Gaelic Athletic Association gegründet. Dabei ist interessant, dass die militärischen Einheiten der Iren, die ihre Waffen gegen die britischen Truppen erhoben, viele Kämpfer aus den lokalen Sportvereinen rekrutierten. Gaelic Football diente hier nicht zuletzt auch dem Training jener Männer, die für den Unabhängigkeitskampf in den lokalen Vereinen fit gemacht wurden. Diese Variante des Fußballspiels, die mehr an Rugby erinnert, war nicht nur Ausdruck nationaler Identitätsbildung, sondern auch regionaler und lokaler Kultur.
L.I.S.A.: Sehen Sie hier Parallelen zur deutschen Turnbewegung?
Dr. Herzog: Turnen leistete einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu einer Nationalerziehung. Diese Pädagogik wurde durch die Verankerung in lokalen Vereinen in weite Teile der Bevölkerung getragen. Durch das gemeinsame Üben im örtlichen Turnverein wurde Patriotismus für den Einzelnen unmittelbar erlebbar und konkret erfahrbar. Die organisatorische und institutionelle Struktur des Turnens hat im 19. Jahrhundert zudem die Parlamentarisierung und Demokratisierung des zusammenwachsenden Deutschland gestärkt. Gaelic Football und Deutsches Turnen waren von Anfang an politische Bewegungen, das unterscheidet sie vom Fußball, der viel auf seine politische Neutralität hält, aber politisch instrumentalisiert werden kann.
Klar, es muss nicht immer Fußball sein. Werner Suppanz von der Universität Graz ging auf unserer Tagung auch auf den Skisport ein, der nach 1945 für die Konstitution einer österreichischen Sportidentität eminent wichtig wurde. Darüber hinaus analysierte er die Bedeutung der als „Wunderteam“ gefeierten Nationalmannschaft für die Konstitution einer österreichischen Sportidentität, als das Land in den 1930er Jahren von Bürgerkrieg, Straßenkämpfen und politischen Unruhen zerrissen wurde. Die Spiele der damals sehr erfolgreichen Nationalelf ließen die politischen Gegensätze vergessen.