In diesen, zum Teil zerstreuten und der Arrondierung ermangelnden Besitz schnitten aber kleinere Besitzstände recht empfindlich ein, ihn hie und da von den geplanten Straßen abschneidend, den Anschluss an vorhandene Straßen hindernd, oder, wie der eisenbahnfiskalische Bahndamm der verlassenen Bebraer Bahn, den großen Besitz des Apothekerhofes in zwei ungleiche Teile erlegend, Da aber auch bei fast allen dieser kleineren Eigentümer ein Interesse für die Erschließung jener Gegend zu erwarten stand, war keinerlei dem entgegenstehendes Hindernis zu erblicken.
Als daher vor nunmehr etwa 10 Jahren die Bebauung das Gebiet umfangen, mit dem Sandhofstraßengelände sogar übersprungen hatte, festigte sich allgemein, auch bei Personen, die mit den Imponderabilien [Unwägbarkeiten] des Erschließungsgeschäfts sehr wohl vertraut sind, die Meinung, dass nun die Erschließung des Gebietes bevorstehe. Einige auf diese Wahrscheinlichkeitsrechnung basierte Terrainkäufe aus jener Zeit zeigen so recht die Unsicherheit eines solchen Unternehmens bei zersplittertem Besitz: alle jene Terrainkäufe haben den Unternehmern so gut wie keinen Gewinn gebracht. Obwohl im Jahre 1899 bereits Verhandlungen wegen freiwilliger Umlegung, zunächst mit den Hauptbeteiligten eröffnet wurden, verging Jahr um Jahr, ohne das ein merklicher Fortschritt zu verzeichnen war. Inzwischen wurden die an der fertig ausgebauten Garten-Straße belegten Eigentümer, die ihr –vermeintlich baureifes – Gelände zu verhältnismäßig hohem Preise erworben hatten, immer dringender mit ihrem Ansuchen an die Stadt, mit Hilfe der Kämmereigrundstücke eine, wenn auch notdürftige Regelung ihrer Grundstücksgrenzen herbeizuführen und für die Grundstücksteile an der Garten-Straße Bauerlaubnis zu erteilen. Fast schien es manchmal. Dass die langwierigen, oftmals bereits aufgegebenen, dann wieder mit neuen Vorschlägen aufgegriffenen Verhandlungen hie und da zu einem ersprießlichen Ende führen könnten; schließlich zeigte sich doch immer , dass eine aus dem Zusammenhange herausgegriffene, von bestehenden Verhältnissen eingeengte Umlegung eines kleineren Besitzes ein so geringes wirtschaftliches Ergebnis zeitigte, dass an ihrem Zustandekommen nur wenig gelegen sein kann. Alle Verhandlungen wegen vorzeitiger Bebauung einzelner Teile des Umlegungsgebietes scheiterten. Der aus so manchen getäuschten Hoffnungen hervorgerufene Missmut klang hier und da noch in das Umlegungsverfahren hinüber.
So lagen die Dinge noch 1909, als die beiden größten Eigentümer des Gebietes die anderen Antragsteller auf zwangsweise Umlegung zusammenriefen. Von den 68 Eigentümern im Gebiete schlossen sich 41 dem Antrage an, die einen Besitz von 15,9 ha, also etwa 3/5 vertraten. Der Antrag wurde im Frühjahr 1909 beim Magistrat angebracht. Gegen den infolge des Antrages aufgestellten Plan der umzulegenden Grundstücke sind zwei Einwendungen ergangen:
- Von dem Eigentümer der bebauten Liegenschaft Garten-Straße 85 (Parzelle 15 des Plans)
- Von den Eigentümern des im freien Felde gelegenen, ebenfalls bebauten Grundstücks Schneckenhof-Straße 91 (Parzelle 7 und 8 des Plans).
Während letztere sich nicht auf die Einbeziehung in die Umlegung an sich, sondern auf die erst später geltend zu machenden Entschädigungsansprüche bezog und deshalb zurückgezogen wurde, bezog sich jene auf die in völliger Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Antrags erfolgte Einbeziehung auch des bereits bebauten Grundstücksteils an der Garten-Straße in das Umlegungsgebiet. Der Eigentümer befürchtete von dem angeblich infolge eines Versehens nicht beantragten Ausschlusse des bebauten Grundstückteils eine Aufrollung der Beitragsfrage für sein 1872, also vor dem Erlass der Anbau- und Beitragspflicht regelnden Straßenstatuten errichtetes Gebäude. Sein Einspruch konnte nicht zur gütlichen Erledigung gebracht werden und musste mit dem Umlegungs-Antrage der Eigentümer dem Bezirksausschusse unterbreitet werden.
Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage erging am 1. Dezember 1909 der Beschluss des Bezirksausschusses, der die Voraussetzungen für die Anwendung des Gesetzes bejaht und den aufrechterhaltenden Einspruch zurückweist.
Nach eingetretener Rechtskraft dieses Beschlusses und Anhörung der Eigentümer wegen Ernennung der Umlegungskommission erfolgt die Einleitung des Verfahrens durch Verfügung des Regierungspräsidenten zu Wiesbaden vom 2. März 1910. Die gleichzeitig gebildete „Umlegungskommission 1 zu Frankfurt a.M.“ wurde wie folgt zusammengesetzt:
Kommissare des Regierungs-Präsidenten:
Regierungsassessor v. B i t t e r in Frankfurt a.M., Vorsitzender,
Regierungsrat Dr. von C o n t a in Wiesbaden, stellvertretender Vorsitzender
Mitglieder
Hermann S c h w a r t z, Architekt und verpflichteter Taxator
Max K a y s e r, Landgerichtsrat
Gustav Emil L u b e, Vermessungsinspektor
Wilhelm H a r t m a n n, Geometer und Sachverständiger für Grundstücks-bewertungen
Die Arbeiten der Kommission erlitten in den ersten Stadien einen erheblichen Aufschub durch die Notwendigkeit, zunächst eine recht umfangreiche Abänderung des Bebauungsplanes durchführen zu müssen. Der geltende, im Jahre 1872 festgestellter Plan in Geltung war, erwies sich in städtebaulicher, sowie in wirtschaftlicher Hinsicht äußerst ungünstig. Sowohl der Magistrat, als auch einige der beteiligten Grundbesitzer hatten daher schon längst eine Änderung angeregt. Dass sie bis zum Beginn des Umlegungsverfahrens unterblieb, war insofern nicht von Nachteil, als mit dem 8. April 1910 eine Änderung der Bauordnung in Kraft trat und nun der Bebauungsplan im erwünschten Kontakt mit der Bauordnung neu bearbeitet werden konnte.
Die Gestaltung des neuen Bebauungsplanes begegnete dem lebhaften Interesse der Beteiligten. Ihre begründeten Wünsche und Anregungen werden in einem Kompromiss-Entwurf berücksichtigt, der in einer Verhandlung von den Beteiligten, mit Ausnahme der vorhin genannten einsprechenden Eigentümern (Parzelle 7 und 8 und 15), als Grundlage für die Ausweisung der neuen Grundstücke gutgeheißen wurde. Der Bebauungsplan ist unter dem Gesichtspunkt aufgestellt, dass der abzutretende Anteil des Straßen- und Platzgeländes der gleiche, nämlich 35,4 Prozent, bleibt.
Die von den Eigentümern 7 und 8 und 15 erhobenen Einwendungen richteten sich nicht eigentlich gegen den neuen Fluchtlinienentwurf, sie wurden vielmehr vorgebracht, um vor Gewinnung eines Überblicks über das Resultat des Umlegungsverfahrens sich eines Mittels zur Behinderung des Verfahrens nicht zu begeben.
In Wahrheit lagen auch in den Verhältnissen der beiden Grundstücke die Schwierigkeiten des Verfahrens.
Grundstück 7 und 8, einer Erbengemeinschaft gehörig, wurde in den 1870er Jahren bebaut, zu einer Zeit, als es den Gemeinden noch nicht möglich war, das sogenannte wilde Bauen schlechtweg zu verhindern. Es leuchtet ein, dass die Umlegung für dieses Grundstück nicht das gleiche günstige Ergebnis haben konnte, wie für die anderen unbebauten Grundstücke des Gebietes.
Der Wert eines Stadterweiterungsgeländes beruht auf der Möglichkeit es in einer nach der Bauordnung, der örtlichen Lage und dem Stande der Technik bestimmten Art der Bebauung für Wohnungs- oder Erwerbszwecke nutzbar machen zu können. Dieser Zukunftswert wird im Verkaufswerte des rohen Stadterweiterungsgeländes eskompiert. Die Umlegung ist ein Hilfsmittel, diesen Wert zu realisieren.
Im vorliegenden Falle waren die Eigentümer bereits vor Jahren in der Lage, den damaligen Wert als Stadterweiterungsgelände zu realisieren. Allerdings konnte nun der Grundstückswert nicht mehr in gleicher Weise wie beim unbebaut gebliebenen Gelände steigen, weil einmal die allgemeine Wertsteigerung zum teil darauf beruht, dass auf dem unbebaut gebliebenen Gelände eben dem heutigen Stande des Wohnungsbaues entsprechende Bauten für die besten Mietkreise geschaffen werden können – was auf dem beregten Grundstücke erst nach Vernichtung des jetzigen Gebäudewertes möglich ist – und zum anderen, weil das in freiem Felde errichtete Haus eines straßenmäßigen Zugangs und aller Einrichtungen eines städtischen Hauses (Kanalisation, Wasserleitung, Beleuchtung) ermangelte. Diese könnten nun zwar im Anschluss an die Umlegung geschaffen werden, es fragt sich aber, ob nach wirtschaftlichen Grundsätzen hieran gedacht werden kann, ob die ganz erheblichen Aufwendungen für Straßenbau, Kanal, bauliche Veränderungen usw. den Wert des obsoleten, unzeitgemäßen Objekts entsprechend zu steigern vermögen. Und diese Frage war zu verneinen. Es ergab sich also bei Inanspruchnahme der vollen allgemeinen Abtretungsquote von 35,4 % ein Minderwert für die Liegenschaft. Seine Abgeltung durch eine Geldentschädigung gemäß § 16 des Gesetzes hätte vorliegendenfalls kaum im Interesse der Eigentümer gelegen. Diesen musste es vielmehr erwünscht sein, aus der Umlegung so viel Gelände zu erhalten, dass sich außer dem neugeformten Hausgrundstück ein weiterer Bauplatz ergab.
In dieser Richtung bewegten sich auch die Verhandlungen die zu einer Verständigung auf folgender Grundlage führten:
Den Eigentümern 7 und 8 wird bei voller Erfüllung des Straßenabtretung (35,4%) eine Mehrzuweisung von 115 qm Baugelände zugestanden. Ferner war die Stadt damit einverstanden, dass ihnen zur Bildung eines zweiten Bauplatzes eine Zuwendung von 100 qm aus städtischen Guthaben zugeteilt wird, gegen die sicherzustellende Verpflichtung, den Kaufpreis für dieses Gelände bei Bebauung des Grundstücks zu zahlen. Hierdurch wird es den Eigentümern möglich, einen Bauplatz für ein Vierzimmerhaus ohne Niederlegung des bestehenden Gebäudes verwerten zu können und, wenn die allgemeine Entwicklung einen solchen Schritt rechtfertigt, an Stelle des bestehenden Hauses einen Neubau mit Fünfzimmerwohnungen zu errichten.
Weniger Schwierigkeiten erwuchsen dem Verfahren aus den Verhältnissen des Grundstücks Nr. 15. Der nach der Forsthaus-Straße zu gelegene Teil bildet den Wirtschafts- und Konzertgarten zu dem im Vorderhause an der Garten-Straße untergebrachten Restaurant. Für diese Zwecke ist der Garten mit Anlagen und primitiven Gebäulichkeiten ersehen (Schießstand, Laubengang, Kastanienbäume etc.), die in gewissem Umfange in die Straßenfläche fallen und zur Erzielung baugerechter Grundstücke an benachbarte Eigentümer übergehen müssen. Es konnte sich, da keinerlei Minderwert infolge der Umlegung festzustellen war, nur um eine Entschädigung für diese entzogenen Bestandteile der Liegenschaft handeln und diese wurde von der Kommission auf 650,- Mark festgesetzt. Der Eigentümer erklärte sich hinsichtlich dieser Schätzung einverstanden.
Quelle: ISG; Emil Klar: "Die erste Baulanderschliessung nach dem Frankfurter Umlegungsgesetze"
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Gerhard L. Mueller-Debus
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das ist eine hervorragende Dokumentation zur Geschichte der Gartenstraße und ihrem Umfeld mit den Familien und vielen erfolgreichen Persönlichkeiten, die hier gelebt und gearbeitet haben. Sie haben nicht nur recherchiert und zusammengetragen, sondern vieles mit eigenen Texten und Photographien anschaulich erläutert.
Zu dieser gelungenen umfangreichen Arbeit gratuliere ich herzlich.
Anton Seelig
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Sie machen mit großer Berechtigung auf das Buch von Dr. Heinz Schomann aufmerksam. Ich darf Sie bei dieser Gelegenheit auf meinen diesbezüglichen L.I.S.A.-Beitrag vom Februar 2016 hinweisen:
https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/das_frankfurter_malerviertel_und_der_aufstieg_von_sachsenhausen?nav_id=6049
Übrigens, meine L.I.S.A.-Beiträge zur Sachsenhäuser Geschichte korrespondieren nicht zufällig mit dem Buch von Dr. Schomann, dem ehemaligen Leiter des Frankfurter Denkmalamtes.
Jens-Holger Jensen
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Heinz Schomann, Das Frankfurter Malerviertel und der Aufstieg von Sachsenhausen, Michael Imhof Verlag, St. Petersberg 2016
Jedes - wirklich - jedes Gebäude in diesem Bereich ist fotografisch repräsentiert (!), zum Teil sind historische Fotos hinzugefügt. Und die städtebauliche und städteplanerische Entwicklung ist präzise dokumentiert, unterlegt mit Wiedergaben alter Pläne etc. und genauen Angaben. Jeder Bewohner Sachsenhausens stöbert mit großem Vergnügen in diesem Band! Alle Malerviertel-Bewohner finden Fotos "ihres" Wohngebäudes und "ihrer" Wohnstraße.
Günter Wendt
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Die Arbeit ist fundamental und so umfangreich, dass sie zusammen mit Jensens anderen Arbeiten über „Straßen“ in Sachsenhausen einen wesentlichen Bestandteil Frankfurter Geschichtsschreibung darstellt. Sie ist deshalb so wichtig, weil für diese lokale Geschichtsschreibung in späteren Jahren keine lebenden Zeitzeugen mehr befragt werden können und viele Dokumente nicht mehr erhalten sein werden. Großartig die Recherchen zu den Familien- und Firmengeschichten und die Gegenüberstellung von historischen Aufnahmen mit Jensens aktuellen Photos. Dank auch an L.I.S.A. für das zugänglich machen und die sichere Erhaltung dieser Kulturgüter!
Philipp Bockenheimer, Linden
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Gartenstraße 6:
Dort befand sich ein Kindergarten der Lukasgemeinde, der beim Verkauf umziehen musste; dem entsprechend wurde der Standort Gartenstraße 71 durch einen Anbau erweitert. Die evangelische Kirche von Frankfurt hatte ein Vorkaufsrecht auf das Gelände. Es gab Pläne, dort gemeinsam mit der Dreikönigsgemeinde ein Kindergartenzentrum entstehen zu lassen. Aus Kostengründen machte seinerzeit die Frankfurter Kirche von dem Vorkaufsrecht keinen Gebrauch.
Das Grundstück der Gartenstraße 6 war, wie alle Nachbargelände auch, Teil großer Gartengrundstücke mit der Adresse am Schaumainkai (siehe das einführende Kapitel mit den Gemälden und Plänen). Dem ursprünglichen Eigentümer ist es zu „verdanken“, dass die heutige Metzlerstraße nie entsprechend den ausgearbeiteten Fluchtlinienplänen bis zur Schifferstraße angelegt wurde. Diese erfolgreiche Lobbyarbeit hat auch die Fertigstellung der Stegstraße bis zum Eisernen Steg verhindert. Womit nebenbei die Erklärung für den Namen der Stegstraße geliefert wird.
Ich erlaube mir anzufügen: der Verlauf der Stegstraße wurde entsprechend der Sichtachse vom Südbahnhof zum „Langen Franz“ angelegt. Der Name geht auf den Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes zurück, von dem in diesem L.I.S.A.-Beitrag auch die Rede ist. Adickes hatte in dem Turm zeitweise sein Amtszimmer.
Gartenstraße 114:
Das Haus wurde in der NS-Zeit zum Ghetto-Haus. Dort wohnte unter anderem Dr. Toni Sandels, die als letzte Ärztin im Kinderhaus Hans-Thoma-Str. 24 arbeitete. Das Haus wurde vor 1925 an S. Selig verkauft, dem es in der NS-Zeit enteignet wurde (er emigrierte nach New York). (Siehe dazu auch „Platz-der-vergessenen-Kinder“).
Ich danke Herr Mahnkopp für die Unterstützung von Herzen.
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Unglaublich was Herr Jensen an interessanten Informationen, schönen Bildern und Plänen zur Gartenstraße zusammengetragen hat.
Eine wahre Fundgrube nicht nur für Anwohner und Sachsenhausenfreunde sondern für alle Geschichtsinteressierte auch außerhalb Frankfurts.