Geographisch abgeschnitten von Bosnien und fünf Stunden entfernt von Belgrad, müssen sie allein folgenden drei Kräften Widerstand leisten: der Natur, dem Staat und Vorurteilen. Im Mehrvölkerstaat Jugoslawien waren sie als Muslime keine Minderheit – der Begriff „Minderheit“ selbst kam für sie nicht in Frage und wurde nicht verwendet, da er nicht verwendet werden musste. So meinte auch Tito: „In Jugoslawien müssen wir beispielhaft zeigen, dass es keine Minderheit und Mehrheit geben darf. Der Sozialismus lehnt Minderheit und Mehrheit ab. Er sucht die Gleichberechtigung zwischen Minderheit und Mehrheit, so dass es dann weder Minderheit noch Mehrheit gibt, sondern ein Volk – der Hersteller und Arbeiter – der sozialistische Mensch.“4
Aber jetzt, mit der Wiederkehr des Alten, kehrten auch die alten konfessionellen Trennungen zurück und die Bosniaken des Sandschaks wurden zu einer Minderheit islamischen Glaubens, die ebenso wie die mehrheitlichen orthodoxen Serben durch linientreue nationalistische Parteien politisch vertreten werden. Die Religion herrscht hier über das Ungewisse, sie ermutigt und tröstet, wenn der Tod oder der Feind naht. Gerade in ungewissen Zeiten, wie den gegenwertigen eines schmerzhaften Übergangs in den neuen Nationalstaat, verbreitet sich wieder Ungewissheit in Öffentlichkeit, Politik, Erziehung und Schule5.
Doch Beli kennt nach wie vor weder Kirche noch Moschee, sein Platz des Glaubens ist innerhalb der Wände seines Hauses und seines Herzens, so wie zu Titos Zeiten. Morgen ist Džuma, also Freitag, der Versammlungstag für die Muslime, aber er geht nicht hin: Nur die Alten pflegen diesen Brauch oder aber diejenigen, die keine Arbeit haben und öffentlich zeigen möchten, welch gute Muslime sie sind. Wie viele Taxifahrer nimmt er kein Blatt vor den Mund und scheut auch kein Gespräch. Mit rhetorischer Kraft sagt er etwas mir Unvergessliches: "Diesem Teil der Erde tut nur die Vergangenheit weh, und alles Schlimme geschieht wegen der Vergangenheit; wir möchten nach vorne schauen, aber das Alte zieht uns immer wieder nach hinten".
In Serbien regiert nun unangefochten die rechte Fortschrittspartei SNS von Vučić und Nikolić, beide einst offene Unterstützer der Schlächter von Muslimen in Bosnien, heute an Gedächtnisschwund leidende Proeuropäer.