In vielen Wohnzimmern steht er bald wieder und verbreitet weihnachtlichen Glanz: der Tannenbaum. Doch was ist das eigentlich für ein Baum, den wir uns alljährlich in die „gute Stube“ holen und besingen? Nur wenige können vermutlich die Unterschiede zwischen einer Tanne und einer Fichte benennen. Warum es sich lohnt, nicht nur die Tannen in unseren Wäldern, sondern auch die Bedeutung der Tanne für die Geschichte der uns umgebenden Landschaft bestimmen zu können, darüber haben wir mit Wilhelm Bode, Jurist und Forstakademiker, gesprochen.
"Die Tanne hält uns Förstern und Waldbesitzern den Spiegel unserer Untaten vor"
L.I.S.A.: Herr Bode, Sie haben der Tanne bzw. der in Mitteleuropa am häufigsten vorkommenden Art dieser Gattung, der Weißtanne, einen kulturgeschichtlichen Essay in Buchform gewidmet. Warum hat es Ihnen gerade dieser Baum angetan? Was macht für Sie den Reiz der Tanne aus?
Wilhelm Bode: Sie hält uns Förstern und Waldbesitzern den Spiegel unserer Untaten vor, nämlich die Wälder nach Alter und Baumstärke zu sortieren, was unsere Wirtschaftswälder zu Altersklassen-Plantagen macht. Die Weißtanne ist einerseits sehr robust, nämlich ohne besondere Ansprüche an die Nährstoffversorgung im Wald. Andererseits will sie unter keinen Umständen auf der Freifläche in gleichalten Beständen heranwachsen und zwingt uns deswegen, unseren Waldbau zur Holzerzeugung zu ändern, nämlich zum „ewigen“ Dauerwald überzugehen. Fast könnte man die Tanne mit Oskar Wildes „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ beschreiben, also dem Menschenfreund und dem Bösewicht in ein und derselben Person. Wir haben es im Waldbau in der Hand, welche der beiden Persönlichkeiten die Tanne als wunderschöne Wirtschaftsbaumart uns später als erwachsener Baum zeigt. Sie vergisst ihre geschützte Jugend im Schutz der Elternbäume nie und belohnt uns dafür mit geradezu ewiger Stabilität und wunderbarem Holz. Und der Dauerwald, für den ich mich bereits mein ganzes Leben lang eingesetzt habe, ist bekanntlich stets ein Mehrgenerationenhaus vieler unterschiedlicher Baumarten aus jungen und alten Bäumen, dazu mit einer geradezu betörenden Ästhetik. In solchen Wäldern will die Tanne behütet heranwachsen.
Wenn Sie einmal einen Dauerwald mit alten Weißtannen, wie z.B. die imposanten Plenterwälder des Oberrheingrabens gesehen haben, werden Sie das niemals vergessen. So schön, stabil und gesund könnten unsere Wälder nämlich überall aussehen und ihr stabilstes und schönstes Element darin könnte überall in Deutschland die Weißtanne sein. Nehmen wir also den Klimawandel zum Anlass, unsere naturfernen Wälder in tannenreiche Dauermischwälder umzubauen, um die aktuelle Krise des Waldes in eine bessere Zukunft zu wenden, denn der Hauptgewinner dieses Umbaus wären letztendlich immer wir selbst.