Wie schreibt man eine Synthese zur globalen Umweltgeschichte? Kann diese chronologisch erzählt werden oder scheitert allein schon eine festgezurrte Chronologie an der Komplexität der Zusammenhänge? Und welche Erkenntnisse sind gerade aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive zu erwarten, wenn es darum geht, mit der Erde so umzugehen, dass auch künftig vielfältige Lebensformen dauerhaft existieren können? Schon die Anlage des neuen Buches des Historikers Prof. Dr. Uekötter von der Universität Birmingham soll deutlich machen, dass eine lineare Erzählung wenig hilfreich ist. Vielmehr orientiert sich der Umwelt-, Technik-, Wissenschafts- und Landwirtschaftshistoriker am Bild des Strudels, bei dem viele unterschiedliche Stränge zusammenlaufen, sich zunehmend verengen und letztlich zuspitzen. Wie das genau gemeint und zu verstehen ist und welche Art der Historiographie sich am ehesten für eine Umweltgeschichte der modernen Welt anbietet, das haben wir Frank Uekötter in unserem Interview gefragt.
"Die materiellen Lebensgrundlagen des Menschen in ihrer ganzen Vielfalt"
L.I.S.A.: Herr Professor Uekötter, Sie haben eine gut 800-seitige Umweltgeschichte der modernen Welt vorgelegt, die den Titel "Im Strudel" trägt. Bevor wir zu einigen Einzelheiten kommen - was hat Sie bewogen, dieses gewaltige Buchprojekt in Angriff zu nehmen? Welche Vorüberlegungen gingen dem voraus?
Prof. Uekötter: An sich ist die Begründung für das Buch ganz einfach: Wenn man globale Umweltprobleme hat, braucht man auch eine globale Umweltgeschichte. Allerdings ist unser Verständnis von Umwelt durch und durch westlich, indem es sich ganz auf die Nebenfolgen des Fortschritts kapriziert. Damit kommt man im Globalen Süden nicht weit, wo sich ökologische Herausforderungen mit sozialen, ökonomischen und anderen Fragen verschränken. Deshalb gab es auch eine Diskussion mit dem Verlag, ob man das Buch noch als „Umweltgeschichte“ betiteln sollte, wenn es doch eigentlich um die materiellen Lebensgrundlagen des Menschen in ihrer ganzen Vielfalt geht. Dafür hat die deutsche Sprache jedoch bezeichnenderweise kein konzises Wort.
Übergreifendes Ziel des Buchs ist deshalb die Rematerialisierung der Geschichtswissenschaft. Es ist wohl kein Zufall, dass alle Disziplinen, die sich mit materiellen Ressourcen beschäftigen, seit Jahrzehnten an den Rändern des Faches stehen: Agrargeschichte, Bergbaugeschichte, Forstgeschichte, Umweltgeschichte, Energiegeschichte. Daraus spricht vor allem die Lebenserfahrung westlicher Stadtbewohner, die sich seit den sechziger Jahren um materielle Ressourcen keine großen Sorgen mehr machen müssen. Aber das ist welthistorisch gesehen eine Ausnahmesituation. Versuchen Sie mal, eine Geschichte der Karibik ohne Zucker zu schreiben oder eine Geschichte Saudi-Arabiens ohne Erdöl – das geht gar nicht. Es geht also um einen materiellen Strom der Geschichte, von dem wir im Westen lange geglaubt haben, dass wir ihn mit etwas Geld und Technik schon im Griff hätten. Aber diese Illusion ist inzwischen geplatzt.