Eine verbreitete Lesart der Epoche der Romantik lautet grob überspitzt in etwa so: Die Romantik war eine Gegenbewegung zur Aufklärung und wollte den geschichtlichen Fortschritt nicht nur aufhalten, sondern die Zeit insgesamt zurückdrehen. Der Literaturwissenschaftler und Präsident der Goethe-Gesellschaft in Weimar, Prof. Dr. Stefan Matuschek, entwickelt in seinem neuen Buch über die Geschichte der Romantik eine andere Sicht auf diese besondere Epoche im Zuge der Französischen Revolution: Die Romantik ist demnach zwar eine Reaktion auf die Aufklärung, aber keine rückwärtsgewandte. Vielmehr hat sie zu Emanzipation und Fortschritt beigetragen, wenn auch im Rückgriff auf die Metaphysik. Wie das zu verstehen ist, dazu haben wir Stefan Matuschek unsere Fragen gestellt.
"Die Romantik schnell als rückwärtsgewandt, anti-aufklärerisch klassifiziert"
L.I.S.A.: Herr Professor Matuschek, Sie haben unter dem Titel "Der gedichtete Himmel" eine neue Geschichte der Romantik geschrieben und zuletzt veröffentlicht. Dass Sie sich als Philologe wissenschaftlich mit der Romantik beschäftigen, kann nicht verwundern, aber warum eine neue Geschichte der Romantik? Welche Vorüberlegungen gingen Ihrer Arbeit voraus, die über bestehende literaturwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Romantik hinausgehen?
Prof. Matuschek: Meine Absicht war es zum einen, die Romantik als ein europäisches Phänomen darzustellen und damit von der immer wieder mit ihr verbundenen deutschen Nabelschau zu lösen. Das Klischee, dass die Romantik der eigentümliche, so faszinierende wie verhängnisvolle deutsche Irrationalismus sei, lebt immer wieder auf. Es ist aber wie alle Nationalcharakterklischees eine bloße Chimäre, egal, ob man es bestaunt oder ideologiekritisch verurteilt. Das Bewusstsein und die Kenntnis von der Romantik als europäischem Zusammenhang sind dagegen viel weniger etabliert. Zum anderen wollte ich den Akzent auf den Modernisierungsimpuls der Romantik legen. In der Wissenschaft wird er seit langem gesehen. Außerhalb der Fachwelt aber ist das anders. Da wird die Romantik schnell als rückwärtsgewandt, anti-aufklärerisch klassifiziert. Sicher gibt es Rückwärtsgewandtes in der Romantik. Doch wenn man das andere, Emanzipatorische, Fortschrittliche nicht sieht, vergisst man das Wichtigste, was wir von der Romantik erben können.