Wie kann und sollte NS-Raubkunst restituiert werden? Bis heute – mehr als 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges – wird diese Frage noch immer gestellt. So auch von der Kunsthistorikerin und Juristin Charis Christine Hahne, die sich in ihrem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Promotionsprojekt mit der Restitutionspraxis von NS-Raubkunst beschäftigt. Sie betrachtet dafür das Alliierte Rückerstattungsrecht, das auf eine lange Rechtsprechung zurückblickt und daher für die heutige Restitutionspraxis verwertbar gemacht werden soll – was das bedeutet, und warum die Restitutionspraxis immer wieder in der Kritik steht, darüber haben wir mit der Wissenschaftlerin in einem Interview gesprochen.
"Leitlinien des alliierten Rückerstattungsrechts wieder sichtbar und verwertbar machen"
L.I.S.A.: Frau Hahne, im Rahmen Ihres Promotionsprojektes, das von der Gerda Henkel Stiftung gefördert wird, beschäftigen Sie sich als Kunsthistorikerin und Juristin mit der heutigen Restitutionspraxis von NS-Raubkunst. Könnten Sie eingangs kurz erläutern, wo Ihre Forschung ansetzt? Was untersuchen Sie konkret?
Hahne: Meine Forschung beschäftigt sich mit der Fragestellung, wie die heutige Restitutionspraxis von „NS-Raubkunst“ eine geschärfte und vertiefte normative Grundlage im Rahmen des bestehenden Systems erhalten kann, also innerhalb der bisherigen Umsetzung der Washingtoner Erklärung in der Bundesrepublik Deutschland durch die Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände vom Dezember 1999. Der Anknüpfungspunkt ist dabei die Handreichung zu dieser Gemeinsamen Erklärung, die seit ihrer ersten Auflage im Jahre 2001 die Empfehlung ausspricht, „bei der Prüfung des Herausgabeverlangens den Leitlinien der rückerstattungsrechtlichen Praxis der Nachkriegszeit zu folgen.“ Ich möchte diese Leitlinien des alliierten Rückerstattungsrechts, denen eine umfassende und sich über mehr als drei Jahrzehnte erstreckende Rechtsprechung zugrunde liegt, wieder sichtbar und damit für die heutige Restitutionspraxis verwertbar machen. Hierzu analysiere ich wiederkehrende Fallkonstellationen in der Gegenwart und vergleiche sie mit aus dem alliierten Rückerstattungsrecht überlieferten Entscheidungen, dies unter Berücksichtigung des Einzelfalles sowie des zeitlichen Abstandes, der zwischen diesen beiden Phasen der Restitution liegt. Ein konkretes Beispiel wäre etwa die Frage, ob „arische“ Ehepartner von als jüdisch geltenden Personen unter den Begriff der „Kollektivverfolgten“ fallen können. Hierzu hat die rückerstattungsrechtliche Rechtsprechung in der amerikanischen Besatzungszone die Idee von der „Schicksals- und Verfolgungsgemeinschaft“ von Ehegatten entwickelt, wonach auch der „arische“ Teil als kollektiv verfolgt anzusehen war, wenn dieser an der Ehe festhielt und das wirtschaftliche und kulturelle Schicksal seines Partners teilte. Diese durch mehrere Instanzen und über einen längeren Zeitraum gefestigten Rechtsansichten könnten den heutigen Umgang mit Restitutionsfällen erleichtern.
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Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis Ihres Projektes und hoffe, dass es für die Öffentlichkeit zur Verfügung stehen wird.
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https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/kultur/rueckfuehrung-von-beutekunst